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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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Wimmern, als er wieder erwachte. Er versuchte, die Situation zu retten, indem er hüstelte. Trotzdem drehten sich einige Zuhörer nach ihm um. Rasch kritzelte er ein paar Notizen auf das Blatt Papier, um die Zielstrebigkeit eines aufmerksamen Menschen vorzugeben.
    Bis zum Ende der Vorlesung war sein Stift ständig in Bewegung, doch was er schrieb, ergab keine richtigen Wörter. Zu sehen waren nur seltsame Muster, fremde Zeichen, als hätte er neue Buchstaben erfunden.
    Nach dem Vortrag ließ Mikael das Stimmengewirr in der Eingangshalle sofort hinter sich. In der Pause war er mit ein paar Kollegen ins Gespräch gekommen, nun aber wollte er nur noch im Zug sitzen und schlafen. Die Sonne brannte, was eine seltsam frühlingshafte Stimmung erzeugte, als wüssten die Jahreszeiten nicht, was angesagt war. Mikael erreichte den Zug, der um halb drei abfuhr, eine Direktverbindung ohne Zwischenstopp. Er suchte auf seiner Fahrkarte nach der Nummer der Sitzplatzreservierung, stellte dann aber fest, dass der Wagen fast leer war und es keine Rolle spielte, wo er saß. Er ließ sich auf den nächsten Sitz fallen, am Fenster, mit dem Rücken in Fahrtrichtung für den Fall, dass es ein Unglück gab. Anders als Saana war er immer schon ein Meister darin gewesen, das Schlimmste zu befürchten.
    Als sich der Zug in Bewegung setzte, betrachtete Mikael die vorbeifliegenden Felder und merkte, dass er wieder munter wurde. Die Farben waren fast unnatürlich klar und tief, obwohl bereits Spätherbst war. Es war irgendwie traurig. Alles war ganz deutlich, ohne den geringsten Schatten wahrzunehmen, und dann verschwand es, und nie würde man dieses Gebäude oder diesen Menschen in einer bestimmten Pose und in demselben Licht sehen.
    Mikael nahm seine Aufzeichnungen zur Hand, in der Hoffnung, sie würden ihn einschläfern. Die ersten Notizen waren noch relativ vernünftig, aber nutzlos. Sie handelten hauptsächlich von den unvergesslichen Abenteuern des Unicef-Pflegers und von Missverständnissen aufgrund von Kulturunterschieden. Als es schließlich um die Besonderheiten von Patienten mit Migrationshintergrund ging, begannen die Notizen zusammenhangslos zu werden, Sätze blieben unvollendet, die Wörter waren zum Teil absurd. Die Beklemmungsrechte der Patienten. Die Nebenwirkungslacher von Medikamenten . Auf den letzten Seiten standen nur noch seltsame Zeichen. Hier und da wurden die unsicheren Linien zielgerichteter. Die Muster waren stärker, der Stift hatte wieder und wieder dieselbe Bahn gezogen, als hätte jemand sich verständlich machen wollen.
    Nachdem er die Zeichen eine Weile betrachtet hatte, wurde Mikael klar, dass er nicht etwa ihre vom Zufall gelenkten Launen betrachtete. Vielmehr las er jedes einzelne Zeichen sorgsam und kehrte immer wieder zu den vorigen zurück, als enthielten sie etwas, das er prüfen und verstehen musste. Er schlug den Notizblock zu, legte ihn in seine Reisetasche und beschloss, zu schlafen. Da sich die Sitzlehne nicht weit genug zurückstellen ließ, presste er die Stirn an die kalte Fensterscheibe und schloss die Augen.
    Im Wagen flog eine vom Sonnenschein geweckte Wespe herum. Ihr Summen entfernte sich und kam wieder näher. Mikael versuchte, das Geräusch zu ignorieren, doch aus irgendeinem Grund näherte es sich immer wieder seinem Ohr.
    Mikael öffnete die Augen und versuchte, die Wespe vorsichtig zu vertreiben, doch sie gab nicht auf. Er erinnerte sich an einen Freund aus seiner Kindheit, der nach einem Wespenstich einen anaphylaktischen Schock erlitten hatte. Der Gedanke ließ ihn panisch werden, zwanghaft stellte er sich vor, wie der Stachel in ihn eindringen würde. Als sich das Insekt brummend an der Fensterscheibe niederließ, nahm Mikael seinen Block ausder Tasche und drückte ihn mit einer schnellen Bewegung gegen das Glas. Unter seiner Hand spürte er ein schwaches Knacken.
    Mikael zog den Block zurück und betrachtete das an der Scheibe klebende Insekt und die aus dem Hinterleib ausgetretene Flüssigkeit. Der Anblick bereitete Mikael Schuldgefühle, deshalb löste er die Wespe mit der Kante des Blocks von der Scheibe. Sie blieb auf der Fensterleiste liegen, die Beine krampfartig gekrümmt. Niemand stirbt , sagte sich Mikael in Gedanken. Er wiederholte den Satz dreimal, lautlos, ohne zu wissen, warum.
    Jetzt war Mikael vollends wach, und er versuchte, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Doch sein Blick kehrte immer wieder zu der Wespe zurück. Anfangs hatte es den Anschein, als wäre die

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