Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
ihre Hände in die ihren. »Ivychen. Was ist denn passiert?«
    Ivy schluckte trocken. »Ach, nichts.« Aus den Augenwinkeln sah sie hinunter zu ihrem Handy, das neben ihr auf der Bank lag. Das Display leuchtete auf. Eine Nachricht von Nathalie war eingegangen: »Probier’s doch mal übers Internet!«

6.
    Nathalie wusste genau, dass es unvernünftig war, gleichzeitig Auto zu fahren und SMS zu schreiben. Sie raste in einem goldfarbenen 5er BMW von Sixt über die A24, Richtung Lüchow-Dannenberg. Auf der Rückbank saß Lucy in einem von den Nachbarn geliehenen Kindersitz und schlief mit dem hässlichen uringelben Naturkautschukschnuller im Mund, der laut der Bio-Baby-Welt -Broschüre keinen Nährboden für Keime bot und somit die perfekte Grundlage für Hygiene schuf. Außerdem war er, im Gegensatz zum Silikonsauger, extrem elastisch und konnte nicht von »schlafenden Kinderzähnen« zerkleinert werden. Schlafende Kinderzähne! Was für ein abstruses Bild! An ihren eigenen Kindersitz war Nathalie nicht herangekommen, der befand sich nämlich im Volvo-Kombi, mit dem Peer, wie jeden Morgen, ins Büro gefahren war. Klar machte sie alle Besorgungen zu Fuß oder mit dem Rad. Offenbar gab es da für Peer gar keinen Diskussionsbedarf. Für ihn war es offenbar selbstverständlich, dass er als berufstätiger Mann den Wagen nahm, damit in die Tiefgarage unter seinem Bürogebäude fuhr, ihn, wie alle anderen Männer auch, dort den ganzen Tag über stehen ließ, um dann damit im Feierabendverkehr vom Potsdamer Platz zurück nach Hause zu schleichen, was mindestens doppelt so lange dauerte wie mit der U-Bahn. Es gab keinen vernünftigen Grund, warum er nicht die U2 zur Arbeit nahm. Einen solchen Grund gab es einfach nicht, mal abgesehen davon, dass er in aller Ruhe sein altes Sting-Album in voller Lautstärke hören und mitsingen konnte. »Hey, Mister Pinochet, you’ve sown a bitter crop.«
    Nathalie kam gut alleine klar. Das Lenkrad mit einer Hand haltend, suchte sie in der schwarzen CD -Nylonhülle nach einer passenden Musik für ihre Fahrt bei knapp zweihundert Kilometern pro Stunde. Sobald Peer gegen achtzehn Uhr fünfzehn zu Hause war, sollten die Nachbarn bei ihm klingeln und sich von ihm Lucys Autositz leihen. Dann musste Peer eben noch einmal runter auf die Straße und das sperrige Teil von der Rückbank zerren. Sein Problem. Er rief ja nicht einmal an, um zu hören, ob mit Lucy so weit wieder alles in Ordnung war. Offenbar interessierte es ihn überhaupt nicht, ob sein Töchterchen gerade an einer Hirnhautentzündung starb.
    Das war ein eindeutiges Signal.
    Gegen elf Uhr fünfzig am Vormittag hatte Nathalie den Notarzt alarmiert und direkt zur Kita »Rasselbande« bestellt, wo die Sanitäter die eingeschüchterte Lucy abgeholt und im Krankenwagen abtransportiert hatten. Bedauerlicherweise hatte Nathalie es nicht mehr geschafft, mit dem Rad zeitgleich an der Kindertagesstätte einzutreffen, sodass sie von dort ein Taxi hatte nehmen müssen, um Lucy so schnell wie möglich in die Charité zu folgen. In der Charité stellte Nathalie allerdings fest, dass ihre Tochter wohl doch ins Kinderkrankenhaus in der Washingtonstraße gebracht worden war. Dort wartete Lucy vollkommen reglos auf einer Liege in der Notaufnahme, ohne dass sich eine Schwester in diesem emotionslosen Raum mit den angsteinflößenden technischen Apparaturen um das schwerkranke, eingeschüchterte Kind gekümmert hätte. Unfassbare Zustände herrschten hier. Verwundert hatte Lucy ihrer Mutter entgegengesehen und mit dünnem Stimmchen gefragt: »Werde ich sterben?«
    Exakt so hatte sie es ausgedrückt. »Werde ich sterben?«
    Wenn doch nur alle Menschen über eine derart ausgefeilte Sprachbegabung verfügten. Schlafende Kinderzähne! An der Bio-Baby-Welt -Broschüre waren gut bezahlte Werbetexter am Werk gewesen! Solch einen sprachlichen Schnitzer hätte sich Nathalie einmal in einem ihrer Artikel bei der Sonntagszeitung erlauben sollen! Die Leser schrieben einem noch Tage später erboste Leserbriefe, in denen sie ungnädig auf Rechtschreib- und Grammatikfehler hinwiesen. Manche fragten sogar, wo und ob man überhaupt zur Uni gegangen war! In der Notaufnahme hatte sich Nathalie schnell auf den Rollhocker gesetzt, war an ihre liegende Tochter herangerollt und hatte ihre warme, sandige Hand genommen. Gar nichts mehr hatte an das aufgeweckte Mädchen erinnert, das Nathalie am Morgen mit Küssen und Liebesbeteuerungen verabschiedet hatte. Nach einer Stunde war Lucy

Weitere Kostenlose Bücher