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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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kurze Pause, setzte aber sofort wieder an und sagte: »Doch am schlimmsten von allen sind die Kritiker. Das sind alles Heuchler! Leute, die gar nicht wissen, was es heißt, ein Buch zu schreiben. Stattdessen verschanzen sie sich hinter ihren Kritiken und urteilen andere ab. Für eine unvergessliche Formulierung schicken sie selbst ihren besten Freund ins Feuer. Und ja: Ich habe ein Buch veröffentlicht, einen kleinen Roman mit dem vielleicht etwas zu pathetischen Titel ›Der sanfte Held‹, der die Geschichte meines an Parkinson erkrankten Vaters erzählt. Ich habe versucht, nichts zu verheimlichen und nichts zu beschönigen, sondern wollte zeigen, was diese verfluchte Krankheit aus einem Mann gemacht hat, der einmal ein großartiger Langstreckenläufer gewesen ist und dem das Wichtigste genommen wurde, etwas, das ihm wichtiger war als seine Familie, als sein Beruf und seine Freunde: Die Fähigkeit, sich frei in der Natur bewegen zu können. Anfangs litt er an undefinierbaren Muskelverspannungen und glaubte, schuld sei das Training. Hinzu kam, dass er sich oft müde fühlte und Schweißausbrüche bekam. Und als er immer unruhiger zu werden begann, machten sich auch die ersten Bewegungsstörungen bemerkbar. Bald fielen ihm so einfache Dinge wie Kämmen, Zähneputzen oder das Zuknöpfen seines Hemdes immer schwerer. Seine Handschrift wurde unleserlich, und sein Schritt |260| veränderte sich. Er lief fortan vornübergebeugt und schwang mit den Armen. Und manchmal begannen seine Hände unmotiviert zu zittern, und seine Gesichtszüge erstarrten schließlich zu einer Maske. Am Ende schlug er wild um sich und schrie im Schlaf. In meinem Buch habe ich zu erzählen versucht, wie die Krankheit langsam immer mehr Besitz von ihm ergriff und er trotzdem nicht aufhörte zu trainieren. Ich wollte zeigen, zu welch unglaublichen Leistungen und zu was für einem unbändigen Willen Menschen fähig sind, und was es mit meinem Vater gemacht hat, als er spürte, dass es nur noch eine Frage von Monaten war, ehe er das Laufen aufgeben musste. Doch er trainierte einfach immer weiter. Am Ende ist er mit schwingenden Armen und wie ein Betrunkener in Trippelschritten schreiend durch den Wald gewankt. Bis ich ihn eines Tages tränenüberströmt auf einer Wiese liegend fand. Wenig später starb er. Und wissen Sie, was ein Kritiker später über mein Buch geschrieben hat?«
    Andernach machte wieder eine Pause und sah seine beiden Zuhörer beschwörend an. Dann fuhr er sich mit der rechten Hand durchs Haar und sagte: »Das Buch sei Sozialkitsch, und sein Verfasser delektiere sich aus schriftstellerischer Profilierungssucht am Schicksal eines Kranken! Gut, was?«
    Andernach nahm neben Fitzek Platz, beugte sich nach vorn und schlug beide Hände vors Gesicht. Sekundenlang herrschte eine bedrückende Stille im Raum. Bis Fitzek schließlich sagte: »Und seitdem hassen Sie sich und Ihren Beruf, nicht wahr?«
    |261| Andernach schwieg, worauf Fitzek sagte: »Soll ich Ihr Schweigen als Zustimmung deuten?«
    »Tun Sie, was Sie wollen!«, antwortete Andernach durch die vors Gesicht gedrückten Hände.
    »Ist doch völlig egal, was andere über einen sagen«, mischte Raik sich nun in ihren stockenden Dialog ein. »Wichtig ist, was man selber denkt. Und wenn Sie an Ihr Buch glauben, dann zählt nur das.«
    Andernach richtete sich auf, wandte sich Raik zu und sagte: »Das habe ich früher auch mal gedacht.«
    »Jetzt muss ich erst mal eine rauchen«, sagte Raik und nahm seine Zigaretten heraus.
    »Aber bitte draußen, ja?«, sagte Fitzek und machte eine entsprechende Handbewegung.
    Als Raik verschwunden war, wandte sich Fitzek Andernach zu und hörte sich zu seiner eigenen Überraschung sagen: »Was meinen Sie wohl, wie sehr mir die lieben Kollegen manchmal auf die Nerven gehen? Nach zwei Tagen mit einer Horde besserwisserischer Psychotherapeuten in einem Raum ist man reif für die Insel und denkt: Was ist bloß in mich gefahren, dass ich mir diesen Beruf ausgesucht habe? Von den Patienten ganz zu schweigen! Diese kassenversicherten Nieten! Oder meinen Sie vielleicht, es macht Spaß, sich dauernd deren weinerliches Gejammer anzuhören? Gott bewahre! Es gibt Tage, da würde ich sie am liebsten auf der Stelle aus meiner Wohnung schmeißen, weil ich das läppische Wehklagen über Ängste, Eifersuchtsschübe und Gewaltphantasien nicht mehr hören kann. Zum Teufel mit diesen Seelenkrüppeln!«
    Fitzek hielt abrupt inne, erschrocken über die |262| plötzliche

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