Leichtes Beben
klatschen.
|292| »Ja, nicht schlecht, die Kleine«, rief Wilke und klatschte ebenfalls. Und als die übrigen Gäste zu applaudieren und zu johlen begannen, da hob auch Schulz die Hände und schlug sie gegeneinander.
Nachdem die Trucker die Raststätte verlassen und sich in ihre auf dem diffus erleuchteten Parkplatz stehenden LKW zum Schlafen verzogen hatten, hielt Wilke dem jungen Mann, der Edwin hieß, dessen halbvolles Bierglas hin und sagte: »Los, und jetzt du!«
Edwin hatte sich mit einer alten Freundin auf der Raststätte verabredet, die ihn am frühen Abend aufsammeln und weiter mitnehmen wollte, ihn aber versetzt hatte. Er hatte Hamburg, wo er ein halbes Jahr in der Stadtbibliothek als Aushilfe gearbeitet und sich in die deutlich ältere Leiterin verliebt hatte, von einem auf den anderen Tag verlassen, um fürs Erste bei einem alten Studienfreund unterzukommen, der inzwischen beim Radio arbeitete und eine eigene Sendung hatte, die dreimal in der Woche spätabends lief.
»Mike ist ’n Night-Talker«, hatte Edwin gesagt, worauf Schulz ihn irritiert angesehen und gefragt hatte: »Ein was?«
»Na, so einer, den die Leute in der Sendung anrufen können, um ihm ihre verrückten Geschichten zu erzählen.«
»So wie dieser Domian«, hatte Wilke eingeworfen.
»Genau, ›Telefon-Talk‹ heißt seine Sendung«, hatte Edwin bestätigt.
Und nun, nach diesen Ausführungen, platzierte er, neben der Theke kniend und mit seitlich ausgestreckten Armen, sein halbvolles Glas auf seiner Stirn.
|293| »Prima!«, rief Wilke, applaudierte heftig und griff johlend nach seinem eigenen Glas. Dann rutschte er von seinem Hocker und ging neben Edwin ebenfalls auf die Knie, legte den Kopf in den Nacken und stellte sein Glas auf die Stirn. Daraufhin erhoben sich die wenigen übrigen Gäste von ihren Plätzen, liefen herbei, um zu klatschen.
Irgendjemand hatte die Musik, die die ganze Zeit nur gedämpft zu hören gewesen war, lauter gedreht. Es liefen die letzten Takte von »Take on me«
,
einem Oldie von Aha. Und dann drang aus den in die Decke eingelassenen kreisrunden Lautsprechern eine Männerstimme, die sagte: Und hier ist unsere nächste Anruferin. Maggie, von wo rufen Sie an?«
»Aus Frankfurt«, sagte die Frau.
»Wie schön! Man hört uns also auch in der Mainmetropole.«
Da umfasste Edwin sein Glas, nahm es herunter, richtete sich auf und rief: »Das ist er! Das ist Mike, mein Freund, der Radiomann!«
»Echt?«, erwiderte Wilke, doch Edwin konnte sehen, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
Schulz war plötzlich mulmig zumute. Wegen Wilke und diesem Edwin, die sich mit ihren Faxen zum Narren machten, und auch wegen der fremden Leute, die um sie herumstanden und sie mit ihrem Geklatsche anfeuerten wie Jahrmarktsakrobaten.
Er spielte mit dem Gedanken, einfach wortlos zu verschwinden. Doch im selben Moment packte ihn Wilke, der sein Glas nun ebenfalls in die Hand genommen |294| hatte, am Arm und sagte: »Los, und jetzt alle zusammen!«
Schulz blickte hilfesuchend in die fremden Gesichter, doch Wilke ließ nicht locker: »Na los, Schulz!«
»Ja, Schulz, mach«, rief Edwin erregt, der bereits wieder auf die Knie ging. Daraufhin begannen die sie Umstehenden erneut rhythmisch zu klatschen, sodass Schulz keine andere Wahl blieb, als der Aufforderung der beiden zu folgen.
Widerwillig nahm er sein fast leeres Glas und kniete sich neben Wilke und Edwin schwerfällig hin. Doch statt es den anderen beiden gleichzutun, erhob er sich nach wenigen Sekunden wieder, stellte zitternd sein Glas auf dem geschwungenen Tresen ab und stürmte, ohne sich noch einmal umzusehen, an den ihn überrascht anstarrenden Gästen vorbei hinaus.
Mit schnellen Schritten lief er hinüber zu den in geschlossenen Reihen parkenden LKW, die im fahlen weißgrünen Licht der Parkplatzlampen Schatten warfen. Keuchend verbarg er sich hinter einem Wagen mit Anhänger.
Zuerst glaubte Schulz, die Stimmen und Geräusche kämen aus der Gaststätte, untermalt vom an- und abschwellenden Brummen der vorbeifahrenden Autos. Doch dann begriff er, dass sie aus der Führerkabine drangen, zunächst leise und unverständlich. Bis Schulz sicher war, dass sie von einem Mann und einer Frau stammten, einem Liebespaar. Die Frau stieß ein langgezogenes Stöhnen aus, es bestand kein Zweifel: Da drinnen liebten sich zwei.
Schulz kam das hübsche Gesicht der Truckerin in |295| den Sinn. Er bemühte sich, noch das leiseste Geräusch zu hören. Dann musste er an seine
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