Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
leer, die er aus dem Kühlschrank holte. Es war eine von Kevins vielen miesen Angewohnheiten, Packungen zu leeren und sie zurückzustellen, statt sie wegzuwerfen.
»Kevin, du Arsch«, grummelte David. Das Einzige, was der in diesem Haus nicht unbrauchbar machte, war die Zahnpasta. Verärgert drehte David die Herdplatte auf die niedrigste Stufe und fühlte in seinen Hosentaschen nach Geld. Aber außer zwei Pence und einem Papiertuch, das schwach nach Käse roch, fand sich nichts.
»Mum, hast du Geld für Eier?«, rief er. »Ich muss schnell zum Laden in der Warren Street, und ich habe keinen Penny mehr. Nicht einen.«
Er ging ins Wohnzimmer, wo seine Mutter hockte und tief in Gedanken vor sich hinstarrte.
»Mum? Die Eier sind alle. Hast du Geld?«
Doreen blickte ihren Sohn an. Er sah kreuzunglücklich aus. Allerdings sah sie nicht den Mann, der dringend sein Frühstück wollte, sondern ihren kleinen Jungen, der einen Schmollmund zog. Genauso hatte er früher geguckt, wenn er dringend einen Schokoriegel wollte, aber nichts mehr von seinem Taschengeld übrig war. Und genauso guckte sein Vater früher, wenn er Trost suchte.
Ja, dachte sie, es wurde Zeit. Das Schicksal hatte heute Morgen eingegriffen und es ihr gesagt. Sie griff nach dem Schlüssel, den sie an der Kette um ihren Hals trug.
»Ich habe ein bisschen Geld oben«, sagte sie. »In der Truhe unter meinem Bett.«
»Oh Mist, haben wir nichts hier unten? Mir verschmort gleich das Frühstück.«
»In der Kiste unterm Bett oben«, wiederholte Doreen und hielt ihm den kleinen Schlüssel hin. In Davids Hand fühlte er sich warm an.
»Okay«, seufzte er und lief so schnell nach oben, wie es seine Körperfülle erlaubte.
Das Schlafzimmer seiner Mutter war das größte im Haus, eine komplette Verschwendung, bedachte man, dass sie nie dort schlief. Olive putzte es trotzdem regelmäßig, so dass es ebenso staubfrei und sauber war wie der Rest des Hauses. David kniete sich hin und angelte nach der Truhe, von der er immer geglaubt hatte, seine Mutter würde darin ihre »Schätze« aufbewahren – die Muttertagskarten, die er ihr in der Schule gebastelt hatte, Fotos, Erinnerungsstücke, und so Zeug. Es kostete einige Kraft, die Kiste herauszuziehen.
»Mann, Mum, was hast du da drin? Die wiegt ja eine Tonne!«, raunte er vor sich hin. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, und der Deckel sprang auf. Drinnen waren tatsächlich einige alte Bilder, Babyschuhe und das »Blue Peter«-Abzeichen, das er im Park gefunden hatte, von dem er aber behauptete, er hätte es für die Erfindung einer Maschine gewonnen, die Gemüse in Schokolade verwandelte. Damit konnte er schlecht im Laden bezahlen.
»Mum, hier ist kein …«, begann er zu rufen.
»Heb die Klappe unten hoch!«, unterbrach ihn Doreens Stimme.
David tastete den Kistenboden ab und fand einen Metallriegel. Er zog die Lasche nach oben und hob den dünnen Holzzwischenboden hoch. Dann starrte er mit offenem Mund auf das, was sich darunter zeigte: Geldbündel, fein säuberlich von Gummibändern zusammengehalten, und Beutel voller Zwei-Pfund-Münzen. Der untere Boden wirkte so tief, als würde er bis ins Erdgeschoss reichen, ein bisschen wie in Die Schatzinsel . DerAnblick wischte alle Gedanken an das halb fertige Frühstück unten fort, was einiges heißen wollte, denn das hätte nicht einmal Samantha Fox in ihren besten Tagen geschafft.
Vor Hunger halluzinierte er wohl schon. Er schloss den Deckel und zog ihn wieder hoch, aber, ja, das Geld war noch da. David nahm sich eine einzelne Fünf-Pfund-Note, schloss die Truhe wieder, schob sie zurück unters Bett und ging benommen nach unten. Hatte seine Mutter eine Bank überfallen? Es kam ihm unglaublich vor, doch seit kurzem wusste er ja, dass sie ein nicht-gebrechliches Doppelleben führte. Wer konnte schon sagen, ob sie mit der Maskerade der armen hilflosen Alten nicht noch ganz andere Sachen überspielte?
»Was … wo …«, stammelte er und zeigte nach oben.
»Das sind meine Ersparnisse«, sagte Doreen. »Gehört alles dir.«
»Mir!«
»Ich hab’s nicht zur Bank gebracht, weil ich denen nicht traue. Und da habe ich ja wohl recht, nicht?« Doreen nickte weise. Sie erwähnte nicht, welche Panik sie bekommen hatte, als sie dachte, Olive könnte ihren geheimen Schatz gefunden haben und damit weggelaufen sein. »Und ich wollte nicht, dass mir irgendwelche gierigen Behördenfritzen alles wegnehmen, falls ich mal ins Heim muss.«
»Aber woher
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