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Leiden sollst du

Leiden sollst du

Titel: Leiden sollst du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Wulff
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sprintete an ihr vorbei, bevor diese wusste, wie ihr geschah. Die Stimmen verstummten, dann erschütterte ein Kreischen die Garage.
    „Die mach ich fertig“, brüllte das Mädchen. „Gib mir dein Messer. Her damit!“
    Zitternd tastete sich Marie tiefer ins Innere der Betonhöhle vor. Der Uringestank wurde penetrant, er brannte in der Nase. Doch dieser andere Geruch war weitaus schlimmer, er legte sich ekelhaft auf ihre Zunge und bildete einen Film, den ihr Speichel nicht wegspülen konnte. Mehrmaliges Schlucken half auch nicht. Nun mischte sich der Duft von vergammeltem Fleisch darunter. Entweder hatte sich ein Hase oder ein Vogel hier herunter verirrt, hatte nicht wieder herausgefunden und war verendet, oder einer der Bewohner hatte in der Garage seinen Unrat entsorgt. Auch die Möglichkeit, dass die Jugendlichen an diesem einsamen Ort ein Tier gequält und getötet hatten, schloss Marie nicht aus.
    Dennoch blieb ihr nichts anderes übrig, als sich weiter in die Dunkelheit zu flüchten. Sie traute sich nicht, die Handylampe noch einmal anzuschalten. Unter ihren Sohlen spürte sie etwas Weiches und blieb stehen. Stoff!
    Als plötzlich, keine fünf Schritte von ihr entfernt, ein Feuerzeug angemacht wurde, zuckte Marie zusammen, als hätte neben ihr eine Bombe eingeschlagen. Der Junge mit der Baseballmütze grinste sie boshaft über die Flamme hinweg an. Das Licht spiegelte sich im Gold seines Schlagrings. Die Göre und der dickliche Jugendliche flankierten ihn. Offenbar hatte sich der Typ mit dem Bandana das Springmesser nicht abschwatzen lassen, wahrscheinlich um seine Führungsrolle nicht zu schwächen, denn er stand einen Schritt vor den anderen. Er war kleiner als seine Kumpel, machte aber einen gefährlicheren Eindruck. Mit säuerlicher Miene spuckte er seinen Zigarettenstummel in ihre Richtung.
    Erschrocken wich Marie zurück. Ihre Füße stießen an etwas, doch da war es schon zu spät. Sie verlor das Gleichgewicht. Verzweifelt ruderte sie mit den Armen, aber es nutzte nichts. Wie ein Stein fiel sie zu Boden. Um den Aufprall abzufangen, ließ sie instinktiv Smartphone und Pfefferspray los und bereute es sogleich, denn sie verschwanden in der Finsternis.
    Zu ihrer Überraschung kam Marie jedoch nicht auf dem harten Beton auf, sondern landete weich.
    Ein Keuchen war zu hören. Genau unter ihr.
    Sie war auf etwas draufgefallen. Den unrechtmäßig entsorgten Abfall? Einen Wäschehaufen, Altkleider vielleicht?
    Marie drehte sich um – und schrie so laut, dass ihr die Trommelfelle von ihrem eigenen Schrei schmerzten. Der Mann unter ihr war eindeutig tot! Schockiert kroch sie von der Leiche, der Marie durch ihren Aufprall die verbliebene Luft aus den Lungen gepresst hatte, herunter. Ein feuchtes Geräusch war zu hören, dann roch sie Kot. Der Darm des Toten hatte sich durch den Druck ihres Gewichts geleert.
    Das Feuerzeug ging aus. Kreischend liefen die Jugendlichen aus der Garage hinaus. Dann wurde es still.
    Marie saß alleine in der Dunkelheit. Und würgte.
    Die Schwärze schien an ihr zu zerren, schien sie ersticken zu wollen. Der Verwesungsgeruch war überwältigend. Sie hielt sich den Jackenärmel vor Mund und Nase, doch das half nur wenig. Bestimmt würde sie ihn nie wieder loswerden.
    Bebend tastete sie nach dem Telefon und fand das Spray. Sie steckte es in ihre Handtasche, die an ihrer Schulter hing, ohne dass sie wusste, wie sie dahin gekommen war, nachdem sie das Mädchen geschlagen hatte.
    Sie erhob sich mühsam. Schlotternd presste sie ihren Rücken gegen die Wand. Etwas knirschte unter ihrer rechten Sohle. Das Smartphone! Julias, um genau zu sein, denn sie hatte es in ihre Schutzhülle gesteckt, um den Aufkleber zu verbergen.
    Sie griff es, zögerte, weil sie nicht sicher war, ob sie den Anblick noch einmal ertrug, und schaltete die Taschenlampe doch an. Weil sie das Licht brauchte, um diese dunkle Hölle zu verlassen. Und weil sie überprüfen musste, ob tatsächlich er es war.
    Mit Grausen sah sie sich um. Hier musste Schnapper geschlafen haben, im hintersten Teil der Garage, die selten oder gar nicht genutzt wurde. Die wenigen Autos, die hier unten parkten, standen alle nah am Gittertor. Die Stellplätze im hinteren Bereich waren leer. Hier war es stickig, es roch modrig und nach Tod.
    Langsam verlor sie die Kontrolle über sich. Ihr Körper zitterte so stark, dass der Lichtkegel über den Leichnam zuckte. Sie schluchzte, wandte sich ab, weil sie befürchtete, sich übergeben zu müssen, und

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