Leidenschaft der Nacht - 4
gesagt, dass er nicht zu diesen Freunden gehört.«
»Stimmt. Womit sich die Frage aufdrängt, was sonst noch gelogen war.«
Ja, das tat sie. Außerdem fragte Olivia sich, mit was für »Freunden« sich ihr Neffe eingelassen hatte.
»Hier ist es.« Mac wandte sich wieder zu ihnen und reichte Reign ein Faltblatt. Vorn auf dem Titel stand: Paarungsgewohnheiten von Vampiren: Ein Diskurs über die männlichen und weiblichen Exemplare der Gattung.
»Du meine Güte!«, murmelte Reign. Olivia schüttelte den Kopf, während sie das Blatt überflog. »Danke, Mac.«
Sie entfernten sich von der Bar, und Mac winkte ihnen zum Abschied zu, ehe er sich eines durstigen Gastes annahm.
Als sie nebeneinander hergingen, sah Olivia Reign an. »Ein Vortrag ist übermorgen Abend. Wollen wir hingehen?«
Reign steckte das Papier in seine Jacke, wie er zuvor auch den Brief der Entführer eingesteckt hatte, und blickte nur sehr kurz zu ihr. »Selbstverständlich. Er könnte uns geradewegs zu James führen.«
»Und dann bist du mich los.« Die Worte kamen ihr über die Lippen, ehe sie etwas dagegen tun, ehe sie auch nur nachdenken konnte.
»Ja«, pflichtete er ihr bei und steuerte geschmeidig den Ausgang an. Wie ein Löwe, der sein Territorium abschreitet, ging es Olivia durch den Kopf. »Und wir sind alle glücklich und zufrieden, nicht wahr?«
Oh ja! Sie hätte ihren Neffen und ihr Leben zurück. Sie konnte heim nach Clovelly und die nächsten Jahrzehnte versuchen zu vergessen, was sie getan hatte. Reign vergessen. Natürlich würde sie glücklich sein. Und das Brennen in ihren Augen? Das waren Freudentränen.
Kapitel 11
William Dashbrooke war nicht dumm. Nicht so dumm, seinen »Gast« abends zu besuchen. Nein, zu ihm ging er grundsätzlich tagsüber, wenn die Sonne hoch am Himmel stand und kein Vampir länger als ein paar Minuten überleben konnte.
Er durfte die Operation nicht gefährden. Reign oder Olivia - er hatte beide so eingehend studiert, dass er sie im Geiste beim Vornamen nannte - könnten sonst noch einem von ihnen folgen, wenn sie sich von seiner Edinburgher Adresse zu dem kleinen Cottage einige Meilen außerhalb der Stadt begaben. Ein unerwarteter Besuch käme einer Katastrophe gleich, und dabei würden die Vampire gewinnen.
Daher war es unverzichtbar, die beiden zur richtigen Zeit zu ihnen zu locken, wenn sie in der Lage waren, das Paar zu überwältigen und gefangen zu nehmen, vorzugsweise mit möglichst wenigen Verlusten auf ihrer Seite. Sie hatten mehrere Männer in England verloren, als sie Temple einfingen. Der Vampir musste sie erwartet haben, obwohl sie ihre Aktion zeitlich auf eine archäologische Ausgrabung abgestimmt hatten. Bis sie kamen, war der Kelch, den er bewachte, längst zu Einzelteilen zusammengeschmolzen auf die restlichen Schattenritter verteilt. Knurrend und von beängstigend animalischer Stärke, hatte Temple zwei Männer getötet, ehe sie auch nur einen Pfeil auf ihn abschießen konnten. Es brauchte insgesamt drei mit Vampirgift getränkte Pfeile, um die Kreatur in die Knie zu zwingen.
Erstaunliche Wesen, diese Vampire! Halbgötter, ohne dass sie es wussten.
Zusammen würden sie und ihre Frauen eine herausragende Opfergabe darstellen - und eine notwendige.
Inzwischen warteten so viele Ordensmitglieder auf die Ankunft der anderen Vampire, dass die Folgen nicht auszudenken wären, wenn diese Mission fehlschlug.
Für alle Fälle verfügten sie über Verstärkung auf Abruf. Verstärkung musste sein, denn Vampire waren schnell, stark und praktisch unverwundbar. Man konnte sie bloß auf eine einzige Art schlagen: indem man schlauer war. Zum Glück waren Vampire nicht sonderlich klug. Unsterblichkeit machte sie bequem und faul. Sie hielten sich für unbesiegbar. Deshalb würden sie auch überall hingehen, wo der Orden sie haben wollte, weil sie annahmen, sich aus jeder Lage freikämpfen zu können.
Diesmal nicht.
Als er das Cottage betrat, dachte Dashbrooke, wie günstig es doch war, dass der junge James Burnley ihm in die Hände gefallen war. Der Bursche ersparte ihm einen Haufen Arbeit und war ideal, um Reign geradewegs zu ihnen zu führen.
Niemals hätte Reign Olivias Bitte abgelehnt, und Olivia würde ihrem kostbaren Neffen nichts zustoßen lassen, gab sie sich doch die Schuld dafür, dass der junge keine Mutter mehr hatte.
Eigentlich war alles perfekt.
Er fand James in dem kleinen sonnigen Speisezimmer, wo er sich gerade mit Reggie zum Mittagessen setzte. Sein Sohn erwies sich
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