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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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drückte auf die rote ENDE-Taste; dann wischte er sich mit ein paar breiten Blättern sauber und kehrte in Gedanken versunken zu seinem Motorrad zurück. Er bemerkte ein Zittern in den trockenen abgefallenen Kiefernnadeln, das ihn mit Erwartung erfüllte. Anstatt stehen zu bleiben, wie die meisten Menschen es wohl getan hätten, trat er hastig mit dem rechten Fuß vor.
    Eine dicke schwarze Schlange schoss vor ihm hoch, mit aufgerissenem, milchig-hellem Maul und zwei langen entblößten Fängen darin. Eine Wassermokassin. Ihre Schwanzspitze vibrierte wie bei einer Klapperschlange, doch es gab kein Geräusch. Trotzdem, sie verteidigte sich entschiedener, als eine Klapperschlange es getan hätte.
    »Agkistrodon piscivorus«, murmelte Eldon. »Bist du vielleicht ein Zeichen, mein Freund?«
    Die Wassermokassin schien verblüfft angesichts seines Mangels an Angst. Während Tarver einen weiteren Schritt vortrat, öffnete er den Mund und züngelte wie eine Schlange – eine Angewohnheit aus den Tagen, als er Schlangen gejagt hatte. Die Wassermokassinotter war nicht so leuchtend bunt wie eine Korallenschlange, doch Korallenschlangen waren selten, und die eine, die er im Park gefunden hatte, war inzwischen mit großer Wahrscheinlichkeit tot. Agentin Morse würde mit ziemlicher Sicherheit überleben, selbst wenn sie von der Schlange gebissen worden war. Doch sie würde nie wieder die Gleiche sein. Sie würde einen Geschmack der Feindschaft bekommen haben, die Gott in der Genesis versprochen hatte, und sie würde wissen, dass ihre derzeitige Jagd so war wie keine andere zuvor.
    Die Wassermokassin ging zum Angriff über; sie meinte es offensichtlich ernst. Eldon lachte auf und wich zur Seite aus. Der Leib der Mokassin war fast so dick wie sein Unterarm. Der diamantförmige Kopf war so groß wie eine durchschnittliche Männerfaust.
    Eine so große Wassermokassin konnte eine Menge Angst verursachen und in bestimmten Situationen ein höchst überzeugendes Werkzeug sein.
    »Ich glaube, mein Freund …«, sagte Dr. Eldon Tarver, »du bist ein Zeichen meiner Wiedergeburt.«
    Während er seinen Seesack schulterte und auf seine Honda stieg, hallte sein Lachen noch immer seltsam zwischen den Bäumen wider.

30
    Chris saß am Küchentisch und diktierte Krankenberichte, als das Mobiltelefon summte, das Alex Morse ihm gegeben hatte. Ben war im Wohnzimmer und spielte auf seiner Xbox, doch sie konnten sich durch die offene Tür sehen. Ben hatte bereits nach dem neuen Telefon gefragt, und Chris hatte es mit den Worten abgetan, das Krankenhaus hätte ihm dieses Gerät zur Verfügung gestellt. Er überlegte zunächst, das Gespräch nicht anzunehmen und Alex zurückzurufen, nachdem Ben schlafen gegangen war, doch bis dahin konnte es noch eine Weile dauern. Er warf einen Blick ins Nachbarzimmer; dann stand er auf und ging zu dem hohen Kühlschrank, auf dem er seine Achtunddreißiger versteckt hatte. Er nahm die Waffe herunter, schob sie in die Tasche, steckte das Telefon und eine Taschenlampe ein und rief Ben zu: »Ich gehe nach draußen, weil der Empfang besser ist, okay?« Mit diesen Worten ging er zur Haustür.
    Ben sah nicht einmal von seinem Spiel auf.
    »Alex?«, fragte Chris, als er die Auffahrt überquerte. »Wie sieht es aus bei Ihnen?«
    »Gar nicht gut.«
    »Sie klingen zittrig.«
    »Ist nicht mein bester Tag heute.«
    »Tut mir leid. Nehmen Sie noch eine Ativan.«
    »Würde ich sehr gerne, aber ich muss mich gleich morgen früh einem Drogentest unterziehen, und das nicht freiwillig.«
    »Ativan ist nicht so schlimm. Abgesehen davon haben Sie ein Rezept von mir.«
    »Nicht schriftlich.«
    »Ich schicke es Ihnen gleich morgen früh per Fax.«
    »Das wird nichts nutzen. Sie wollen nicht, dass ich mit Ihnen spreche. Ich darf mit niemandem reden, der mit irgendeinem der Fälle in Verbindung steht. ›Nichtfälle‹ wäre wahrscheinlich der passendere Ausdruck.«
    »Dann glauben sie Ihnen immer noch nicht?«
    »Für eine Sekunde dachte ich, ich hätte etwas in den Augen eines alten Freundes gesehen. Aber ich habe mich geirrt.«
    Chris schaltete die Taschenlampe ein und suchte seinen Vorgarten ab. Auf einem Hügel sechzig Meter voraus leuchtete ein gelbgrünes Augenpaar auf. Das Rotwild beruhigte ihn – die scheuen Tiere würden augenblicklich Reißaus nehmen, wenn sich jemand in der Dunkelheit da draußen herumtrieb. »Nun ja, Ihre große Sorge war doch, dass man Sie feuern würde. Hat man Sie gefeuert?«
    »Noch nicht. Sie haben mir einen

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