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Leitstrahl für Aldebaran

Leitstrahl für Aldebaran

Titel: Leitstrahl für Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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übrigen Probe zu trennen und ihn gesondert aufzubewahren. Sie wollte ihn untersuchen, ohne daß er die ganze Prozedur durchlaufen mußte, die ihn ja zerstören würde. So ein makroskopisches Stück von pflanzlichem oder tierischem Gewebe war doch etwas anderes als die unsichtbare Welt der Mikroorganismen, über die man nur durch Vermittlung ganzer Gerätereihen etwas sagen konnte. Wenigstens Gemma erschien es so, sie war ja nicht hauptberuflich Biologin; dieses Fach war nur an sie gefallen, weil bei einer so kleinen Besatzung jeder ein halbes Dutzend Spezialisierungen haben mußte, das gehörte zum Beruf des KundschafterKosmonauten. Diese Spezialisierung aber, die biologische, war eine, mit deren Praktizieren eigentlich niemand gerechnet hatte, sie am allerwenigsten. Denn wer glaubt schon, daß man auf einen belebten Planeten stoßen wird?
    Sie überließ also die anderen Proben den Gerätereihen. Sehr bald schon wurde eine recht atembare Zusammensetzung der Luft angezeigt, aber das registrierte sie nur am Rande. Nachdem sie endlich den Halm im Ganzen multispektral aufgenommen und durchleuchtet hatte, praktizierte sie ihn kontaktfrei unter das Mikrotom und fertigte ein paar Dünnschnitte an, und als sie dann diese Schnitte hermetisch konserviert hatte, konnte sie sie zur weiteren Verwendung hereinnehmen - denn bisher waren sie ja sozusagen immer noch draußen gewesen. Das war auch höchste Zeit; Gemma war sich darüber klar, daß Toliman solche energieaufwendigen Geräte wie E- und M- Mikroskop nach den ersten, notwendigen Untersuchungen abschalten würde, die Energiesituation gebot das unwiderruflich. Also mußte sie sich beeilen.
    Die undankbarste, weil abstrakteste Aufgabe hatte Mira zu lösen. Sie mußte mit der Genauigkeit einer Sekunde - sowohl Zeit- als auch Bogensekunde - berechnen, wann und in welche Richtung nach einem halben Jahr der Leitstrahl abgegeben werden mußte. Vorarbeit dazu war freilich auf der Umlaufbahn schon geleistet worden; jetzt aber waren die nötigen Korrekturen zu treffen; die höchstzulässigen Fehlertoleranzen zu ermitteln, denn ein halbes Jahr hatte immerhin 15 768 000 Sekunden; die Erwartungswerte für Kontrollmessungen kurz vor Abgabe vorzugeben; zeitabhängige Funktionen für Prüfgrößen aufzustellen, die ständiger Kontrolle zugängig waren, etwa die Position der beiden Sonnen; kurz, es war eine öde Rechnerei, behaftet mit dem ständigen Verdacht, daß jeder kleinste, noch nicht einbezogene kosmische oder stellare Faktor das ganze Ergebnis wertlos machen und daß dieser Fall ebensogut am Anfang wie am Ende dieses halben Jahres eintreten konnte. Schließlich, was wußten sie schon von diesem System! Es brauchte nur.
    Aber es war eben sinnlos, über dieses »nur« nachzugrübeln. Berücksichtigen konnte Mira ausschließlich die bisherigen Messungen. Und schon das war kompliziert genug. Dabei ahnte sie kommende Abweichungen. Kommende Notwendigkeiten, alle Rechenkapazitäten wieder und wieder einzusetzen. Künftigen Energieverbrauch, mit dem Toliman nicht rechnete.
    Ach ja, Toli! Es mußte ihn hart getroffen haben, daß er mit seinem Entschluß Energie vergeudet hatte, statt sie zu beschaffen. Dabei war es eigentlich ein normales, vertretbares Risiko gewesen. Trotzdem, wenn es gut geht, lobt jeder das Risiko. Wenn es schiefgeht, nicht. Mindestens der Verantwortliche wird das Gefühl, versagt zu haben, nicht ganz unterdrücken können. Die andern freilich werden es ihm nicht vorwerfen. Wenn nicht - ja, wenn nicht solche Fälle sich summieren. Dann allerdings.
    Toliman hatte sich selbstverständlich nichts anmerken lassen. Trotzdem mußte sie ihm helfen. Es durfte nicht so weit kommen, daß seine Autorität, die bis jetzt ganz natürlich und unbestritten war, fragwürdig wurde. Eine Idee dämmerte in ihr auf, sie schob sie beiseite, später, später, erst mußte sie mit ihren Berechnungen fertig sein.
    Es war bereits Nachmittag, als Rigel vom Dach oder richtiger von der Decke ihrer künftigen Wohnung herabgeklettert kam und eine Anzeige einschaltete. Der zitternde Zeiger stand etwas rechts von der Null, im positiven Feld.
    »Na also«, sagte Toliman, »wir führen mehr Energie zu, als wir verbrauchen.«
    »Ja«, sagte Rigel, »bei Tage. Und bei Sonnenschein.«
    »Wir werden ja auch noch einiges abschalten im Laufe der Zeit«, entgegnete Toliman. »Jetzt erst mal«, er sah sich um, bemerkte, daß auch Mira und Gemma aufgestanden waren, ihre Pulte waren abgeschaltet, also hatten sie

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