Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
fiel ein Lichtstrahl ins Zimmer. Rasch trat Thomas zurück und richtete sich zu voller Größe auf, ein Bild vollkommener Selbstbeherrschung.
Amelia seufzte erleichtert und drehte sich weg. Ihren dünnen Morgenrock zog sie so fest um sich, als wolle sie sich damit vor seiner übermächtigen Ausstrahlung schützen.
» Gute Nacht.« Sie wagte es nicht, ihn anzuschauen, und eilte zur Tür.
» Am Samstag reisen wir nach Berkshire.«
Sie blieb stehen. » Muss ich mitfahren?«
» Glauben Sie wirklich, dass ich Sie hier über Weihnachten alleine lasse?« Er klang tatsächlich so, als sei schon der Gedanke mehr als absurd. Ihr Vater fiel ihr ein, der sich wegen solcher Bagatellen nie Gedanken gemacht hatte, denn mit dem Tod ihrer Mutter verlor das Weihnachtsfest für ihn jegliche Bedeutung. Und falls er zufällig einmal anwesend war, schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein und vergrub sich in seinen Geschäftsbüchern.
» Ich möchte das Fest aber lieber alleine verbringen.«
Thomas schaute sie entschlossen an. » Amelia, kein Wort mehr. Es bleibt dabei, dass Sie mit mir zu meiner Schwester fahren.«
Amelia nickte knapp, bevor sie hastig das Zimmer verließ. Insgeheim fragte sie sich, wie sie es schaffen sollte, die Feiertage mit Thomas Armstrong zu verbringen, ohne sich vollkommen aufzugeben.
Was zum Teufel war nur mit ihm los? Er hätte sie geküsst und weiß der Himmel was noch mit ihr getan, wäre er nicht von einem Diener unwissentlich vor sich selbst gerettet worden. Dieses verdammte Weib raubte ihm schier den Verstand.
Wie zerbrechlich sie ausgesehen hatte, als sie vor dem Weihnachtsbaum stand und hinaufschaute. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er an ihren Gesichtsausdruck dachte, an die zu Herzen gehende Traurigkeit in ihrem Blick. Und als sie sich abwandte, war in ihm irgendetwas aufgekeimt, vielleicht ein Jagdinstinkt, der die Menschheit vor der Auslöschung bewahrte. Als er sie Schritt für Schritt verfolgte, war ihm das Blut wild durch die Adern gerauscht, dazu das uralte Verlangen, zu besitzen und sich zu paaren…
Heftig schüttelte er den Kopf. Er musste sich wieder in den Griff bekommen. Zwei Wochen würden sie in den Mauern von Rutherford Manor verbringen, zusammen mit Missy, ihrer Familie und Cartwright. Sofort presste er die Lippen aufeinander. Zumindest dort musste er den Schein wahren und sein Verlangen nach Amelia zügeln. Gut, sie hatte ihn völlig in ihren Bann gezogen, aber das durfte nur vorübergehend sein.
Es sei schließlich nur eine heftige körperliche Reaktion, redete er sich ein, mehr empfinde er nicht für die renitente Lady. Vielleicht lag es ja auch daran, dass er keine Geliebte mehr hatte. Und außerdem: Welcher Mann blieb schon unempfänglich, wenn eine schöne und begehrenswerte junge Frau unter seinem Dach wohnte? Kein Wunder, dass er ein bisschen verrücktspielte. Er konnte nur darauf hoffen, dass sich das alles in Berkshire wieder einpegelte oder verschwand wie Fledermäuse beim Anbruch des Tages.
24
D er Rauch, der sich aus den schwarzen Schornsteinen von Rutherford Manor kringelte, vermischte sich sogleich mit den schweren grauen Wolken, die tief über dem großen Anwesen hingen und Schneefall ankündigten– oder Unheil, wie Amelia dachte, während sie durch das Kutschenfenster schaute. Thomas, ihr gegenüber sitzend, betrachtete sie unverwandt und eindringlich.
» Mademoiselle, ist Ihnen nicht wohl?«, erkundigte sich Hélène, die neben ihr saß. » Sie sehen angegriffen aus.«
Angegriffen wäre ja wie ein Geschenk. Sie fühlte sich eher wie die arme Marie Antoinette auf dem Weg zur Guillotine. Schrecklich, aber nichtsdestotrotz tapfer und ergeben.
» Sie müssen nicht nervös sein.«
Amelia schaute Thomas an. Sein merkwürdig sanfter und ganz und gar nicht spöttischer Tonfall überraschte sie. » Ich bin nicht nervös«, erwiderte sie mit ungewöhnlich hoher Stimme. Du liebe Güte, was war nur mit ihr los? Sonst klang sie doch nicht wie ein kleines Mädchen! Sie räusperte sich. » Ich kann es kaum erwarten, endlich anzukommen, mich frisch zu machen und mich umzuziehen. Den ganzen Tag bin ich schon in diesem Kleid unterwegs.«
Na also, sie klang wieder wie sie selbst. Immerhin ein kleiner Sieg angesichts ihrer rasch schwindenden Selbstbeherrschung in allen Angelegenheiten, die Thomas Armstrong betrafen.
Die Tür der Kutsche wurde geöffnet, und eiskalte Luft wehte in das ohnehin nicht gerade gemütlich temperierte Innere. Ein Lakai in blau-grüner
Weitere Kostenlose Bücher