Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
zu sagen haben. Jedenfalls nichts, was er hören wollte.
» Soll sie sich doch erkundigen«, stieß er hervor.
» Ich rechne damit, dass sie heute Abend hier auftauchen wird. Und man sagt, dass sie neuerdings gesteigerten Wert darauf legt, elegant auszusehen. Es wird also einen großen Auftritt geben.«
Mehr brauchte Thomas nicht zu hören. » Dann werde ich ganz unelegant früh verschwinden.« Er eilte zur Tür.
» Du rennst doch nicht etwa vor ihr davon?« Cartwright klang einerseits amüsiert, andererseits ungläubig.
Thomas blieb stehen und warf seinem Freund einen Blick über die Schulter zu. » Ein kluger Mann rennt nicht, denn das beschwört nur eine Jagd herauf. Ein kluger Mann geht aus dem Weg. Und genau das habe ich vor. Ihr aus dem Weg zu gehen.«
Cartwrights Gelächter klang ihm noch in den Ohren, als er den Ballsaal schon längst verlassen hatte.
Am nächsten Tag litt Amelia immer noch unter den Eindrücken des vergangenen Abends. Lustlos saß sie beim Frühstück, als ihr Vater sie zu sich ins Herrenzimmer bitten ließ. Bang fragte sie sich, ob wohl Miss Crawford trotz der frühen Stunde bereits gepetzt hatte. Ihr Herz pochte wie verrückt, als Amelia sich mit der Serviette den Mund abtupfte und sich mit gerafften Röcken vom Tisch erhob.
Angesichts der heiklen Lage, in die sie sich mit ihrem Fluchtversuch vor ein paar Tagen gebracht hatte, und des unglückseligen Fauxpas von gestern, bei dem praktisch ganz London Zeuge wurde, hielt sie es für unklug, ihren Vater warten zu lassen.
Ihre Schritte glitten leicht über den polierten Holzfußboden, als sie noch einmal die schrecklichen Ereignisse Revue passieren ließ. Zumindest war ihr gemeinsam mit Miss Crawford ein trotz aller Hast würdevoller Abgang gelungen. Amelia hatte jeden Blickkontakt mit den Gästen vermieden, deren Mienen zwischen milder Zurechtweisung und höchster Belustigung schwankten. Nach einer schweigsamen Kutschfahrt war sie nach Mitternacht ins Bett getaumelt, ohne einen ruhigen Schlaf zu finden, denn immer wieder schrak sie aus verstörenden Träumen auf, in denen er sie küsste.
Zur Strafe.
Mit fahrigen Händen strich Amelia ihr Haar glatt, das zu einem schlichten Knoten geschlungen war, und atmete tief durch, bevor sie zweimal an die schwere Eichentür klopfte. Diesmal wartete sie die Aufforderung zum Eintreten ab und öffnete langsam die Tür, nicht dass sie wieder jemanden umstieß.
Lord Bradford saß in seinem ledernen Armsessel, die Lesebrille auf seiner Nase und in irgendwelche Akten vertieft. Anders als am Tag zuvor war seine Kleidung tadellos und das Halstuch frisch gestärkt. Er schien wieder ganz der Alte.
» Ah, Amelia, ich hatte schon befürchtet, ich muss dich holen lassen. Setz dich, wir haben etwas zu besprechen.« Er deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. Nicht unbedingt in der Art eines erbosten Vaters, der soeben skandalöse Neuigkeiten über seine Tochter erfahren hatte. Nein, er schien eher zu lächeln. So sah er aus, wenn ein vielversprechendes Geschäft kurz vor dem Abschluss stand.
Trotzdem empfand sie Unbehagen, als sie näher an den Tisch trat. Er schien ihr ein wenig zu glücklich, zu leutselig, zeigte nicht die Spur von Ungeduld, die er sonst ihr gegenüber an den Tag legte. Ihre Begegnungen erschöpften sich gewöhnlich in einem kurzen Wortwechsel. Außerdem schenkte er ihr nicht seine volle Aufmerksamkeit, sondern schaute weiter in seine Unterlagen. Auch das ein Indiz, dass kein neuer Ärger ins Haus stand.
Amelia presste die Kiefer zusammen, schob die Schultern zurück und nahm auf dem Stuhl Platz, der der Tür am nächsten stand, beschäftigte sich angelegentlich damit, ihre Röcke so zu arrangieren, dass die spitzenbesetzten Volants symmetrisch übereinanderlagen. Falls ihr Vater sie gerufen hatte, um ihr zu eröffnen, dass er sie zu verheiraten gedachte, dann konnte er sich auf den Kampf seines Lebens gefasst machen.
Harold Bertram richtete den Blick in den hinteren Teil des Zimmers. » Thomas, setz dich bitte zu uns.«
Erschrocken rutschte Amelia auf ihrem Stuhl hin und her und entdeckte ihren personifizierten Albtraum vor dem Bücherregal, wo er die Rückenschilder der Lederbände studierte.
Ihr Herz startete einen wilden Galopp, und sie hatte das Gefühl, die dunkle Decke würde sich auf sie herabsenken und ihr die Luft zum Atmen nehmen, die gesamte Luft aus dem Raum saugen. Thomas Armstrong hingegen schaute sie mit harmlos distanziertem Blick an. Wie war es nur möglich, dass sie
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