Lelord, Francois
bekamen.«
Hector blickte
ihn traurig an. Im Privatleben war Brice ein sehr verführerischer Mann, und bei
seiner Arbeit als Psychiater war er es sicher nicht weniger. Aber er hatte es
einfach nicht verstanden, die ersten Anfänge jenes Gefühls von Verliebtheit
abzulenken, das manchmal bei einer Frau aufkeimen kann, wenn sie einen Mann
stark, gut und verständnisvoll findet - und jeder Arzt kann an seinem
Arbeitsplatz so wirken, erst recht, wenn er so schöne blaue Augen hat wie
Brice. Und als seine Frauen nun aus ihren Träumen erwacht waren und ihn so
gesehen hatten, wie er wirklich war, da hatten sie plötzlich das Gefühl,
hereingelegt und beschmutzt worden zu sein, und alle bekamen sie die Wut, wenn
sie merkten, dass sie weder die Einzigen gewesen waren noch so einzigartig,
wie Brice es ihnen immer weisgemacht hatte.
Scheidung,
Entzug der Approbation, Strafverfahren ... Am Ende schrammte er haarscharf an
einer Verurteilung wegen »Vergewaltigung unter Ausnutzung einer
Autoritätsposition« vorbei. Und dann war Brice fortgegangen und hatte eine tief
verletzte Ehefrau, verstörte Kinder und den Großteil seines kleinen Vermögens
zurückgelassen.
Wenn
damals in Gesprächen Brice' Name fiel, waren die Reaktionen geteilt: Empörung,
Spott und manchmal auch das Vergnügen, mit der Meute nach Herzenslust zu
hetzen. Hector konnte das zwar verstehen, aber nicht billigen, genauso wie er
Brice' Irrwege verstand, aber nicht billigte. »Aber ist er immer noch dein
Freund?«, fragte ihn manch einer überrascht. Hector hatte sich diese Frage
natürlich selbst schon gestellt. Brice hatte auf der Suche nach seinem
Vergnügen eine Menge Schaden angerichtet, aber Hector wusste, dass er immer gehofft
hatte, es würde dadurch niemandem etwas Schlimmes passieren, weder den anderen
noch ihm selbst - wie ein Kind, das mit Streichhölzern spielt und hofft, nicht
erwischt zu werden, und dann setzt es plötzlich das Haus in Brand und seine
kleine Schwester gleich mit.
Und jetzt
war Brice seine Abwärtsbahn offenbar noch ein gutes Stück weiter hinabgerutscht
und ließ dem schon erwähnten Prinzip der natürlichen Auslese freien Lauf,
womit er Darwin aufs Tiefste betrübt hätte, denn der war ein sehr tugendhafter
Mensch gewesen und hatte mit großem Kummer konstatiert, dass Natur und Evolution
nicht moralisch waren, und er hätte es entrüstet abgelehnt, in so etwas wie das Dolly Dolly zu gehen.
»Ich spüre
eine leichte Missbilligung bei dir, mein Freund«, sagte Brice und setzte sich Hector
gegenüber aufs Sofa.
»Wie soll
ich es sagen ... Nein, nicht wirklich.«
»Ich
möchte, dass du es verstehst - hier richte ich keinerlei Schaden an.«
Hector fiel
es nicht schwer, das zu glauben. Lek und Nok sahen nicht gerade wie gefesselte
Sklavinnen aus, und Brice behandelte sie wie menschliche Wesen. Aber
gleichzeitig sah Hector all diese jungen Frauen vor sich, die zum Mitnehmen
aufgereiht waren wie Spielzeug in einem Kaufhausregal...
»Im Grunde
helfen wir uns gegenseitig«, sagte Brice.
»Wie
bitte?«
»Ja. Wir
beschützen einander vor zwei der größten Geißeln des Menschenlebens - vor dem
Alter und vor der Armut.«
Darin
erkannte Hector die Lebenseinstellung seines alten Brice sofort wieder.
»Wenn ich
mit ihnen zusammen bin, fühle ich mich wieder jung«, sagte Brice, »das ist gar
nicht zu bezahlen, und dabei hat es hier einen so niedrigen Preis, dass es
unglaublich und geradezu wunderbar ist. Und mir haben sie zu verdanken, dass
ihre Familien nicht mehr so arm sind; eine kleine Schwester wird länger zur
Schule gehen, eine andere kann die Zahnspange bekommen, die sie unbedingt
braucht, und ein Onkel kann mit den besten verfügbaren Medikamenten behandelt
werden.«
»Wenn ich
es richtig verstehe, bist du ihre Sozialversicherung.«
»Genau«,
sagte Brice, »aber natürlich längst nicht ihre einzige.« Er zeigte auf den
Lichtschein, den die Neonreklamen ins Zimmer warfen: »Diese ganze Straße hier
und noch zwei, drei andere, nicht zu vergessen all die Massagesalons - das ist
die Sozialversicherung und die Krankenkasse für die armen Regionen in diesem
Land. Eine junge Frau, die den Männern gefällt, kann zehnmal so viel verdienen
wie als Arbeiterin oder Putzfrau. Und meistens macht sie das alles für die Familie,
die so tut, als würde sie glauben, die Tochter hätte in der Hauptstadt einen
Job als Kellnerin oder Dienstmädchen gefunden.«
»Und die
minderjährigen Opfer der Menschenhändler?«, fragte Hector, dem die
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