Lelord, Francois
Gänsemarsch
näherte. Sie waren mit ihren geschmückten blauroten Tuniken bekleidet, als
wären sie unterwegs zu einer Zeremonie, aber auf dem Rücken trugen sie große
Kiepen. Wahrscheinlich gingen sie an den Bergflanken irgendwelches Getreide
ernten. Hector versuchte, noch ein wenig tiefer einzutauchen und ganz still
dazuliegen, aber sie erspähten ihn trotzdem. Mit unterdrücktem Gekicher kamen
sie näher. Hector hätte das ganz amüsant gefunden, aber sein Vergnügen wurde
beträchtlich geschmälert, wenn er daran dachte, wie wohl die Reaktion der Varak-Lao-Männer
ausfallen mochte, denn der bukolische Charakter der Szene oder auch die
Parallele zur Odyssee, in welcher der Titelheld von Nausikaa und ihren
Gefährtinnen nackt überrascht wurde, würde sich ihnen wahrscheinlich nicht
erschließen.
»Ach, das
ist wohl deine neue Masche, um Frauen anzubaggern?«
Das war
glücklicherweise Valerie, und die Varak-Lao-Mädchen entfernten sich
respektvoll. Vielleicht machten sie sich ihrerseits Sorgen über die Reaktion
jener riesengroßen Fremden, die vielleicht die Frau des splitternackten Weißen
war. Schade, die Zeit hatte nicht gereicht, um so richtig zu erkennen, ob er
wie ihre eigenen Männer beschaffen war!
»Ich räume
die Wanne für dich«, sagte Hector.
»Das ist
nett von dir. Und würdest du vielleicht in Reichweite bleiben?«
Hector
stemmte sich aus dem Trog und war ein bisschen überrascht, dass Valerie ihren
Blick erst abwendete, nachdem sie ihn aufmerksam gemustert hatte. Er trocknete
sich mit dem Hemd vom Vortag ab und zog sich mit großer Befriedigung das
saubere an, das er seit dem Beginn der Reise gehütet hatte.
Valerie
hatte sich nun ihrerseits ausgezogen, aber Hector wagte es nicht, sich zu ihr
umzudrehen, ehe sie nicht bis zum Hals untergetaucht war. Er setzte sich auf
einen Baumstumpf, sodass er das übrige Dorf und den Pfad, den die jungen Frauen
eingeschlagen hatten, gut überschauen konnte und Valerie gerade noch so im
Blickfeld behielt.
»Denkst du
immer noch über die Freundschaft nach?«, wollte Valerie wissen.
»Ja,
ziemlich viel. Warum beispielsweise sind wir Freunde geblieben - du, ich,
Edouard und sogar Brice?«
»Brice
würde ich da eher außen vor lassen, jedenfalls, was mich betrifft...«
»Einverstanden.
Aber versuch bitte trotzdem mal, dich in mich hineinzuversetzen: Ich weiß, wie
er lebt, ich weiß von seinen Nummerngirls, und trotzdem habe ich immer noch
Zuneigung für ihn.«
»Ich doch
auch!«, sagte Valerie.
»Und woran
liegt das deiner Meinung nach?«
»Er ist
wie ein Kind. Man kann ihm nicht lange böse sein. Allerdings schließt man mit
Kindern auch keine Freundschaft.«
»Bis zu
einem gewissen Grad sind wir doch alle Kinder.«
»Ja, aber
manche sind es mehr als andere.«
»Ich frage
mich, ob es nicht noch einen anderen Grund gibt«, sagte Hector. Und er verriet
Valerie seine Beobachtung Nr. 6: Alte
Freunde sind so rar wie Baumriesen.
»Du meinst
also, dass wir mit Brice befreundet bleiben, weil er zu unseren wenigen alten
Freunden zählt?«
»Ja, ich
frage mich das ernstlich. Glaubst du nicht, dass dieselben Verhaltensweisen bei
einem Freund, den du erst seit zwei Jahren kennst, dich davon abschrecken
würden, sein Freund zu bleiben?«
»Wahrscheinlich.«
»Siehst
du, ein hohes Dienstalter ist bei Freunden von Vorteil.«
»Aber
warum bloß? Die Jahre sind doch kein Wert an sich!«
»Das
stimmt, aber die Tatsache, dass wir Brice schon so lange kennen, macht aus ihm
einen selteneren, einen kostbareren Menschen. All die gemeinsamen
Erinnerungen, da fällt es schwer, einen Schlussstrich zu ziehen. In gewisser
Weise ist er ein Teil des Stoffes, aus dem unser Leben bis zum heutigen Tag
gewebt worden ist. Wenn wir mit ihm brechen würden, wäre es so, als würden wir
einen Riss in dieses Tuch machen.«
Er sah,
dass das aus dem Trog laufende Wasser zu schäumen begonnen hatte: Valerie
hatte Seife mitgebracht, und meine Güte, sie hatte sich hingestellt und seifte
sich den ganzen Körper ein! Wie wundervoll sie aussah, auch wenn manche Männer
sie vielleicht etwas zu athletisch gefunden hätten ... Hector wagte es nicht,
sich wieder abzuwenden, denn das hätte Valerie das Gefühl gegeben, sie hätte
etwas Unschickliches getan.
Valerie
schaute ihm direkt in die Augen und lächelte.
Plötzlich
wurde ihm klar, was ihre beiden Körper seit Beginn der Reise wussten: Sie begehrten
einander. Es geschah nicht zum ersten Mal, aber bisher war es immer flüchtig
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