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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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im Buch agierten zwar in unterschiedlichen Zeitepochen und in verschiedenen Erdteilen, hatten aber die gleiche menschenverachtende Gesinnung. Beiden fehlte jegliches Unrechtsbewusstsein.
    Im Buch ging ein belgischer Handelsagent in der afrikanischen Wildnis über die Leichen der von ihm gemarterten Sklaven, um seine Gier nach Elfenbein zu stillen. Im Film betrieb ein Colonel der amerikanischen Luftwaffe in der Hölle des vietnamesischen Dschungelkrieges private Mordspiele, die er
Apocalypse Now
nannte. Beide Männer trugen den gleichen Namen. Sie hießen Kurtz.
    Es war gegen 19 Uhr, als Irma das Buch zuschlug und sich leicht benommen und hungrig auf den Heimweg machte.
    Mama wartete schon und sagte: »Kommst du endlich, meine Lütte!«
    »Es ging nicht früher«, sagte Irma. »Hast du einen schönen Tag gehabt?«
    »Fenster gewienert. Geplättet. Eingeholt. Kehrwoche gefeudelt!«
    Nun war Irma gerührt. »Danke, Mam. An dir ist eine Schwäbin verloren gegangen!«
    Mama lächelte und zeigte zur Küche: »Das Abendbrot ist auch schon gerichtet.«
    Irma gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging nachsehen, was es Gutes gab. Auf dem Tisch stand eine Schüssel Kartoffelsalat nach norddeutscher Art angemacht. In der Backröhre waren Frikadellen warm und im Eisschrank war eine Flasche Cannstatter Zuckerle kalt gestellt.
    Meine Güte, dachte Irma, was hat Mam für eine fantastisch praktische Ader. Ob das Herr Jansen ganz vergessenhat? Oh Gott, was soll ich ihm nur sagen, wenn ich ihn anrufe? Muss ich ihn anrufen? Helene meint, auf alle Fälle. Wann soll ich ihn anrufen? Ich kann ihm doch nicht, wenn Mam zuhört, von ihrer Kleptomanie erzählen! Vielleicht hilft das Cannstatter Zuckerle, Mam heute Abend in Tiefschlaf zu versetzen.
    »Toller Service!«, rief Irma ins Wohnzimmer. »Jetzt hab ich richtig Appetit bekommen. Können wir gleich essen?«
    »Ja«, rief Mama zurück.»Und dann tüdern wir uns einen an!«
    Gesagt, getan. Aber bevor Mama gründlich betüdert war, bestand Irma auf ein paar ernsten Worten: Erstens über das katastrophale Ende des Baden-Baden-Urlaubs. Und zweitens über die scheinbar unheilbare Kleptomanie ihrer Mutter.
    »Nun erklär mir doch bitte mal, Mam, was du dir bei deinen blödsinnigen Diebstählen eigentlich denkst? Du bist doch finanziell in der Lage, dir Wünsche zu erfüllen.«
    Die Augen ihrer Mutter, die eben noch gestrahlt hatten, umwölkten sich. Sie sagte leise: »Nun mach doch kein Gedöns, Irmchen. Das wirst du nicht verstehen können: Wünsche kann ich mir nicht kaufen, ich muss sie stehlen.«
    »Du brauchst diese geklauten Sachen doch gar nicht. Du hortest sie oder wirfst sie weg. Was hast du davon?«
    »Es ist eben ein tolles Gefühl: Diese Spannung davor! Und dann der Kick und die Erleichterung, dass es gelungen ist, ohne erwischt zu werden. Das ist wie die Erfüllung einer Sehnsucht.«
    »Nun mach aber mal halblang«, sagte Irma ungehalten. »Erfüllung einer Sehnsucht!? Du meinst wohl eher die Erfüllung einer Sucht!«
    Jetzt wurde Mama ärgerlich: »Das ist doch nicht so, als ob jemand notorisch säuft oder an Bulimie leidet – oder sich der Kaufsucht hingibt!«
    »Aber so ähnlich«, sagte Irma. »Du schadest anderen. In Saudi-Arabien schlägt man noch heute Dieben die Hand ab.«
    Mama sah auf ihre Hände und bewegte die Finger, als wollte sie prüfen, ob sie alle noch dran waren.
    Dann straffte sie sich und sagte sehr bestimmt: »Seit ich Kai-Friedrich kenne und weiß, dass er mich liebt und nicht mehr allein lässt, habe ich kein einziges Mal mehr geklaut. Mit dem Geld, das ich fürs Casino brauchte, das war etwas ganz anderes.«
    Irma wurde nachdenklich. Sie wusste, was ihrer Mutter fehlte, sie hatte es sich nur nie richtig klar gemacht: Mam fehlte Zuwendung. Sie selbst hatte als Kind alle Liebe von ihr bekommen, derer sie fähig war. Diese Liebe hatte Irma damals freudig zurückgegeben. Aber als sie erwachsen wurde, konnte ihre Mutter nicht loslassen. Sie klammerte und Irma hatte sie einfach abgeschüttelt.
    Sie kämpfte mit ihrem Gewissen: Muss ich mir Vorwürfe machen, weil ich irgendwann meinen eigenen Weg gegangen bin? – Doch wenn Mam aus Langeweile oder Einsamkeit kleptomanisch geworden ist, wieso hat sie Herrn Jansen bestohlen, den sie angeblich liebt? – Ich muss mit ihm sprechen.
    Aber Irma verschob den Anruf auf den nächsten Tag.
    Mama schlief schon, als sich Helene noch einmal meldete. Sie trompetete die Nachricht, sie habe soeben mit Herrn Jansen gesprochen,

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