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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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mein Geld mitgenommen und …« Mamas Rede wurde ein Weilchen durch Schluchzen und Schniefen unterbrochen.
    »Innerhalb einer halben Stunde hatte ich alles verloren. Dabei hat es fantastisch angefangen! Wenn man beim ersten Spiel seinen Einsatz verdoppelt hat, kann man doch nicht aufhören, verstehst du?«
    »Versteh ich nicht, aber ich vermute, Kai-Friedrich hat dich rausgeschmissen, als er davon erfahren hat.«
    »Nein. Er hat es ja nicht erfahren. Jedenfalls nicht gleich.«
    »Wann dann?«
    »Am nächsten Tag wollte ich unbedingt mein Geld zurückgewinnen – wenn Kai-Friedrich nicht seine dicke Brieftasche hätte rumliegen lassen, er ist nämlich altmodisch und bezahlt immer bar – also wenn das Geld nicht so vor meiner Nase gelegen hätte – du weißt ja, dass ich da schwach werde – wäre nichts passiert. Aber so dachte ich, nimmst dir mal ein paar Scheinchen raus und von dem Gewinn, den du gleich machst, kannst du sie ja wieder hineinlegen, bevor er was merkt.«
    Irma fühlte sich plötzlich schwindelig. Diesmal legte nicht Mama, sondern sie das Gesicht in die Hände.
    Sie flüsterte durch die Finger: »Ich weiß schon, wie es ausgegangen ist.«
    Mama schwieg, schloss die Augen und sah sich am Spieltisch. Spürte wieder ihre innere Aufregung, als sie setzte. Fühlte diesen Glücksrausch, als der Croupier ihr den Gewinn hinschob. Sah ihre Hände, die wieder und wieder Jetonsauf die Felder setzten, wahllos und fiebrig. Hörte das Geräusch der rollenden Kugel. Die Stimme, die »Nichts geht mehr« sagte. Sah die Kugel, die nicht dort liegen blieb, wo sie sie hingewünscht hatte. Sah den Rechen, der die Chips zusammenzog und von ihr weg zu einem anderen Spieler schob. Sie hörte wieder ihre eigene Stimme, die den Croupier beschimpfte, vernahm verhaltenes, vornehm-leises Gelächter.
    Sie war wie eine Verfolgte aus dem Casino zum Hotel gerannt. Hatte sich dort Kai-Friedrich heulend an den Hals geworfen und ihm alles gestanden. Er hatte sie abgeschüttelt wie eine Wespe, die ihn gestochen hatte. Er konnte es nicht fassen. So viel Geld! Ihr Geld. Sein Geld. Er machte ihr keine Vorwürfe, aber er bat sie, ihn allein zu lassen, er müsse nachdenken.
    Nach einer Stunde sagte er ihr, dass er den Urlaub ab jetzt allein verbringen möchte und sie ihre Sachen packen solle.
    Sie wehrte sich nicht. Sie verteidigte sich nicht. Sie bettelte nicht. Sie packte und ging.
    »Er hat mich rausgeschmissen«, sagte sie in die Stille. »Ich bin gegangen mit fünf Euro und zwanzig Cent in der Tasche.«
    Nun tat sie Irma doch leid. Mein Gott, dachte sie, wie kann eine zweiundsechzigjährige Frau, die nicht einmal dumm ist, so naiv sein? Wie kriegt sie es immer wieder fertig, sich so gewaltig in die Nesseln zu setzen? Wird sie nie gescheit werden? Die Pleite mit dem Roulette könnte ich ja noch verstehen, aber wird sie sich das Klauen je abgewöhnen können? Warum will sie es nicht mit einer Therapie versuchen?
    Irma sah Mama prüfend an. Deren sonst meist heiteres Gesicht war jetzt todernst und wirkte um Jahre gealtert. Irma konnte sich nicht dazu aufraffen, sie zu trösten. Mam hatte keinen Trost verdient, sondern Vorwürfe. Aber Irma wusste, Vorwürfe nützten nichts. Sie verkniff sie sich und erkundigte sich stattdessen danach, wie Mama ohne Geld von Baden-Baden nach Stuttgart gekommen war.
    »Per Anhalter«, sagte Mama nicht ohne Stolz. »Mit einem Tanklastzug. Ich hab gesagt, mir wäre meine Tasche mit dem Geld und der Zugfahrkarte gestohlen worden. Der nette Fahrer, so in meinem Alter, vielleicht auch drunter, hat mich in einer Raststätte bei Karlsruhe zu Kartoffelsalat und Würstchen eingeladen.« Und nun strahlte Mama wieder. »Wir haben uns gut unterhalten. Er ist aus Heilbronn. Otto Häfler. Er will mich wiedersehen.«
    »Mein Gott, Mam«, sagte Irma. »Ich hatte fast vergessen, dass du nicht nur kleptomanisch, sondern auch mannstoll bist.«
    Mama lachte. »Otto hat einen Umweg zum Killesberg gemacht und mich fast bis vor deine Haustür gefahren.«
    »Und wie bist du in meine Wohnung reingekommen?«
    »Es war ja noch nicht spät, so um acht. Ich habe bei der Hauswirtin geklingelt und sie hat mir deinen Schlüssel gegeben. ›Fein‹, hat sie gesagt, ›dann brauche ich die Blumen nicht mehr zu gießen.‹«
    »Du bist also schon drei Tage wieder in Stuttgart?«
    »Ja, und deswegen ist auch der Eisschrank leer. Und mit dem Päckchen Spaghetti und den paar Konserven aus deinem Vorratsregal bin ich auch nicht weit gekommen. Du

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