Lemberger Leiche
Grauenvollste, was ich je gesehen habe.
Man wundert sich, dass es nach so einer Story überhaupt noch Kriege gibt. Wenn ich an die Hubschrauber denke, die den Angriff auf das vietnamesische Dorf fliegen, fangen meine Knie an zu zittern.«
»Siehscht!«, sagte Katz zufrieden. »Ond mit dene Hubschrauber reite die Walküre vom Wagner – i mein akustisch – wie apokalyptische Reiter ieber des Dorf.«
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Irma. »Diese Musik klang grausam. Wild und unheilbringend.«
»So ischs«, sagte Katz.
»Frau Würmle-Brommer hat gesagt, Frau Kurtz hätte dieses Stück die halbe Nacht lang gehört. Kann man solche Musik wieder und wieder hören, ohne verrückt zu werden?«
Katz zupfte an seinem Lippenbärtchen. »Wenn des Frau Brünnhilde Kurtz tut, dann isch se wahrscheinlich scho verrückt und braucht’s net meh zu werde.«
»Was allerdings leider nicht beweist, dass sie was mit dem Bankraub zu tun hat. – Aber ich werde sie suchen«, sagte Irma kämpferisch. »Und wenn ich sie aufgespürt habe, werde ich herausfinden, ob sie verrückt oder kriminell ist. Oder beides.«
»Vielleicht het die untadelige, brave Bankagstellte a gespaltene Persönlichkeit!«, sinnierte Katz.
Irma zuckte die Schultern. »Mir scheint, wir fangen beide an zu spinnen.«
»Die Hitz!«, sagte Katz.
Irma rief Schmoll an und gab ihm einen kurzen Überblick über ihre Nachforschungen.
»Na, das klingt ja wirklich opernhaft«, knurrte Schmoll. »Das Schwesterchen verwandelt sich in ein Brüderchen! Und durch Feuerbachs Altstadt reiten Wagners Walküren! – Um den Märchennachmittag perfekt zu machen, könnt ihr, da ihr sowieso in der Nähe seid, noch ein paar Blicke hinter die Mauern des Alten Friedhofs tun, auf dem Geldscheine in Rucksäcke gezaubert werden.«
»Also Schmoll«, sagte Irma, »lass uns den Friedhof morgen machen. Erstens ist es jetzt fast sieben, und zweitens will ich rasch bei Helene vorbeischauen und ihr die Fotografie aus der Bank zeigen. Ich möchte sichergehen, dass Frau Kurtz die Frau ist, die wir beim Weinblütenfest kennengelernt haben.«
»Willst du Helene Ranberg jetzt bei jedem Mordfall als Miss Marple engagieren?«
»Nicht unbedingt. Aber ich möchte mich gern mit ihr über die seltsamen Schwestern unterhalten. Vielleicht ist ihr irgendetwas aufgefallen, das mir entgangen ist.«
»Steiger dich bitte nicht in Mutmaßungen hinein! Schließlich haben wir nicht mal ’ne anständige Leiche.«
»Außer Herrn Engelhard«, erinnerte Irma.
»Von dem nicht feststeht, ob er meuchlings ermordet wurde oder von selbst auf die Bordsteinkante gestürzt ist.«
»Und was habt ihr über den Bank-Kleiber herausgekriegt?«
»Sein Alibi ist hieb- und stichfest. Er wurde während der vermutlichen Tatzeit von mehreren Leuten im Luise-Schleppe-Haus gesehen.«
Irma fuhr mit der Straßenbahn von Feuerbach in die Nordbahnhofstraße und ging zum
Haus des betreuten Wohnens
, in dem Helene Ranberg lebte, seit ihr Sohn sie aus der Ranberg’schen Villa verbannt hatte. Der smarte, beruflich erfolgreiche Rolf hatte viele Jahre im Ausland verbracht und dann, frisch verheiratet mit der schönen Claire, sein Elternhaus für sich beansprucht. Allerdings hatte ihn in diesem Haus dann alsbald ein gewaltsamer Tod ereilt. Helene war nach dem Tod ihres Sohnes nicht wieder in die Villa gezogen. Die schlicht und praktisch veranlagte Helene wollte im Haus des betreuten Wohnens bleiben.
»Mit 72 Jahren«, sagte sie, »kann man nicht ausschließen, irgendwann Betreuung nötig zu haben.«
Irma drängelte sich zur Klingelanlage, vor der wieder einmal der sangesfreudige junge Mann saß. Er hielt Irma seineWeinflasche entgegen, schwenkte seinen Hut und trällerte auf eine eigene Melodie: »I ben der Hansi Hinterseer. Hollatria, hollatrio.«
»Ist ja okay«, beschwichtigte ihn Irma und kramte nach Kleingeld, weil sie wusste, ohne würde sie hier nicht vorbeikommen.
Als der Euro im Hut lag, summte der Türöffner, und wenig später trat Irma in Helenes Apartment.
»Ja, das ist aber eine Überraschung!«
Helene drückte Irma ans Herz, wobei diese roch, dass auch hier eine angebrochene Weinflasche herumstehen musste.
In der nächsten halben Stunde leerten sie einträchtig den Rest des gekühlten Rieslings und verdrückten jede eine aufgebackene Laugenbrezel dazu. Nebenher betrachteten sie die Fotografie aus der Bankfiliale.
Nachdem Helene mehrmals steif und fest versichert hatte, die Frau auf dem Jubiläumsfoto sei jene, die
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