Lemberger Leiche
angrenzenden Hauses war urwaldähnlich gestaltet, und hinter einem Palmwedel lugte eine alte Frau hervor.
»Wir sind von der Stuttgarter Kriminalpolizei!«, rief Irma über den Gartenzaun. »Dürfen wir zu Ihnen reinkommen und ein paar Fragen stellen?«
Die Frau schob den Palmwedel beiseite und schüttelte mit abweisender Miene den Kopf.
Doch als fürchte sie, ihr würde in ihrem einsamen Urwald eine unerwartete Abwechslung entgehen, schlug sie rasch und bereitwillig vor: »Wenn Sie einmal da sind, können wir uns ja hier draußen ein bisschen unterhalten.«
Da Irma und Katz nur ein paar Meter von dem Balkon entfernt standen, war das durchaus möglich. Sie stützten die Unterarme auf den Zaun und Irma schickte ein gewinnendes Lächeln hinüber zu der Alten. Sie stellte sich und Katz vor und fragte sie nach ihrem Namen.
»Also, nein«, krächzte es empört zurück. »Was geht Sie denn an, wie ich heiße?«
Irma seufzte. Als Katz seinen Posten verließ und sich entfernte, wusste sie, er würde nun den Eingang zu dem Haus suchen, um den Namen der Bewohnerin des Erdgeschosses herauszufinden.
Kaum war Katz verschwunden, teilte die Alte in verschwörerischem Ton ihren Namen mit: »Adelheid Würmle-Brommer. – Wenn Sie von der Kriminalpolizei sind, dann haben Sie doch sicher im Fernsehen die Krimireihe
Adelheid und ihre Mörder
gesehen? – Sie gucken keine Fernsehkrimis? Das ist ein Fehler! Sie würden Ihre Fälle viel schneller lösen, wenn Sie die Methoden dieser Adelheid übernehmen würden. Na ja, Frauen erkennen Spitzbuben doch sowieso schneller als Männer.«
Offenbar kann sie keine Männer leiden, dachte Irma und beteuerte fröhlich, Adelheid sei ein schöner Name.
Frau Würmle-Brommer lächelte, und Irma kam zur Sache: »Kennen Sie Ihre Nachbarin, die hier in dem kleinen Haus wohnt?«
»Selbstverständlich«, sagte Frau Würmle-Brommer sichtlich stolz, die erste Frage beantworten zu können. »Da wohnt die Brünnhilde. Die Brünnhilde Kurtz. Ich war früher mit ihrer Mutter befreundet, mit der Lore.«
»Waren befreundet? Jetzt nicht mehr?«
»Die Kurtzens leben ja nicht mehr. Erst ist der Walter gestorben und ein paar Jahre später die Lore. Das ist bestimmt schon fünfzehn oder zwanzig Jahre her. Die Lore ist gerade mal sechzig geworden. Eigentlich kein Alter zum Sterben, wie man an mir sieht. Ich glaube fast, sie hat sich über das Kuckucksei von Tochter zu Tode geärgert.«
»Wieso Kuckucksei?«
Frau Würmle-Brommer flüsterte: »Die Kurtzens haben Brünnhilde adoptiert.« Nach dieser Mitteilung ließ sie ihre Stimme wieder anschwellen: »Die Lore war eine gute Pflegemutter, und der Walter hat sich auch alle Mühe gegeben. Das Mädle hat es gut bei ihnen gehabt, aber gedankt hat sie es ihnen nie.«
»Woher wissen Sie das so genau?«
»Die Lore hat mir oft ihr Herz ausgeschüttet und bitterlich dabei geweint. Das Mädchen sei garstig, unnahbar und hinterfotzig, hat die Lore gejammert.«
»Hinterfotzig?«
»Die Brünni hat allweil ihre Mutter angeschwindelt. Sie war faul. Und sie hat Geld geklaut, um sich Bonbons und Kuchen zu kaufen. Und in der Schule hat sie mit allen Kindern Streit gesucht – auch mit den Lehrern.«
»Könnte das Gründe gehabt haben?«
»Die Brünnhilde ist halt so. Wer weiß, von wem sie das hat? Als sie herausgekriegt hat, dass die Kurtzens nicht ihre leiblichen Eltern sind, ist sie noch garstiger geworden und hat ihnen die Hölle heiß gemacht.«
»Wie die Hölle heiß gemacht?«
»Rumgebrüllt. Porzellan zertrümmert. Und irgendwann hat sie Elvis erschlagen.«
»Elvis erschlagen?«
»Lores Kanarienvogel«, sagte Frau Würmle-Brommer und wischte sich die Augen. »Sie hat ihn gegen die Wand geknallt.«
»Und weshalb das alles?«
»Weil Lore und Walter der Brünnhilde nichts über ihre leiblichen Eltern sagen wollten. Das konnten sie aber gar nicht, denn Brünnhilde war ein Findelkind. Ist als Baby in der Theatergarderobe im Marquardtbau gefunden worden. Früher war in dem Gebäude ein vornehmes Hotel, und weil da mal Richard Wagner übernachtet hatte, wurde das Kind kurzerhand Brünnhilde genannt. Sie wissen schon: nach der Walküre im
Ring des Nibelungen
.«
Irma wusste das zwar nicht, nickte aber eifrig.
Worauf Frau Würmle-Brommer weiterplauderte: »Als Brünnhilde im Teenageralter war, haben sie in der Schule die Nibelungensage durchgenommen. Danach hat die Lehrerin die Klasse in die Staatsoper geführt, wo
Die Walküre
gegeben wurde. Ab da war es um Brünni
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