Lemberger Leiche
gemütlich gemacht. Zu seiner Ausstattung gehörten ein Rucksack, eine Bildzeitung und ein Dackel. Der Dackel kam angesaust, hopste neben Irma auf die Bank und sah sie mit einem unwiderstehlichen Dackelblick an.
»Willst wohl gestreichelt werden?«, fragte sie ihn und fing gleich damit an.
Der Hund streckte sich lang, bettete seinen Kopf auf Irmas Schoß und schloss die Augen. Er öffnete sie auch nicht, als jemand »Wastl, wo bist?« rief.
Katz sagte: »Der da driebe hockt, sieht aus, als ob er hier Stammgast isch.«
In diesem Moment nahte ein zweiter Mann, der dem ersten ähnlich sah: grauhaarig, kurzhosig, stachelbeerbeinig, kariertes Hemd über einem Bierbäuchlein. Er trug eine große Bäckertüte.
Da es auf der anderen Bank nach einer lautstarken Begrüßung richtig behaglich zu werden schien, entschloss sich Wastl, die Bank zu wechseln, um zu gucken, ob es was zu fressen gäbe. Es gab, und das war ein Grund für Wastl, Irma keines Dackelblickes mehr zu würdigen.
Irma und Katz warteten das Vesper ab, weil man sich erfahrungsgemäß mit gesättigten Menschen besser unterhalten kann. Als sie nach einer Viertelstunde hinüber zur Nachbarbankgingen und ihre Dienstausweise zeigten, wurde es dort kurzzeitig ziemlich still.
Erst nachdem Irma beteuert hatte, nur ein paar unverfängliche Auskünfte zu brauchen, die sich nicht auf die hier Anwesenden, sondern auf eine weitere Person bezogen, entspannte sich die Lage wieder. Die beiden rutschten sogar zur Seite, damit sich Irma mit in den Schatten setzen konnte.
Um das Gespräch locker zu beginnen, zeigte Irma auf den Baum, den sie vorhin bewundert hatte. »Ein schöner Riese, der da!«
»Metasequoia glyptostroboides«, sagte Wastls Herrchen wie aus der Pistole geschossen.
»Hä?«, machte Irma mit Fragezeichen in der Stimme.
»Ein Riesenmammutbaum«, erklärte der Mann. »Heimat China.«
»Sie send aber topfit en dr Botanik«, lobte Katz. »I ka kaum a Primel von am Veilchen onderscheide.«
Der Mann schien vor Stolz ein paar Zentimeter zu wachsen und erklärte: »Ich war vierzig Jahre lang beim Gartenbauamt. Unterhaltungsbezirk Stuttgart-Nord.«
»Unterhaltungsbezirk?«, fragte Irma erstaunt. »Gehört Unterhaltung nicht eher ins Fernsehen?«
»Die Pflege der städtischen Grünanlagen heißt offiziell und amtlich
Unterhaltung
«, erklärte der ehemalige Stadtgärtner im Tonfall eines Oberlehrers.
Irma sah ihm an, dass er diese Unwissenheit für eine unverzeihliche Bildungslücke der Kriminalpolizei hielt.
»Ach so«, sagte Irma, und Katz nickte verständnisvoll.
Der Gärtner schmunzelte zufrieden. »Nun bin ich schon seit zehn Jahren in Rente, da genieße ich hier, was ich früher im Schweiße meines Angesichts unterhalten hab.«
»Da han Se recht«, sagte Katz und fragte den anderen Mann, ob er auch beim Gartenbauamt gearbeitet habe.
»Ich war beim Bosch«, verkündete der. »Bin ein echter Feuerbächer.«
Katz drängte sich nun auch auf die Bank und sagte: »A schees Plätzle isch des hier.«
»Das ist die Bank von dem berühmten Übernächtler«, sagte der echte Feuerbächer.
»Übernächtler?«, fragten Irma und Katz gleichzeitig.
Und nun erzählten die beiden Herren abwechselnd und eifrig folgende Geschichte: Nachdem in den siebziger Jahren die Grünanlage neu gestaltet worden war, hatte sich ein Mann, seltsamerweise kein armer Wicht, sondern aus gutem Haus, im Gebüsch hinter der Bank ein Lager eingerichtet. Mit Zelt, Matratze und Grillplatz. Es blieb nicht aus, dass sich Obdachlose dazugesellten, und schließlich wurde diese Ecke des Parks nicht nur zum Übernachtungslager, sondern auch zum täglichen Aufenthaltsort für eine recht gemischte Gesellschaft. Feuerbachs ehrenwerte Bürger verlangten die Entfernung der wilden Wohnstätten. So mancher Penner verschwand nach polizeilichen Razzien wieder. Aber den Gründer des ersten Biwaks konnte die Polizei so oft wegschleppen, wie sie wollte, er kam immer zurück und baute seine Behausung neu.
»Wir von der Unterhaltung und die Kollegen vom Stadtreinigungsamt hatten die Ehre, hier ständig aufräumen zu dürfen«, berichtete der Stadtgärtner. »Ausgesehen hat’s hier, als ob innerhalb dieser Friedhofsmauern ’ne Großfamilie hausen würde, die jegliche Kehrwochenpflicht verweigert.«
So interessant diese Feuerbacher Story war, die damals die Bürger aufgewühlt hatte, so mussten Irma und Katz doch allmählich zur Zeugenbefragung übergehen. Nachdem die Männer etwas widerwillig ihre Namen
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