Lemberger Leiche
geschehen! Sie fühltesich plötzlich ihrem Vornamen verpflichtet und hörte nichts anderes mehr als Wagner. Das hat ihre Eltern fast in den Wahnsinn getrieben. Und Elvis auch. Er hat nicht mehr gesungen, sondern nur noch geschrien. Ich glaube, Elvis musste sterben, weil er immer versucht hat, gegen Wagner anzuschreien.«
»Armer Elvis«, sagte Irma mitfühlend, um den Redefluss weiter anzuregen.
Frau Würmle-Brommer nickte betrübt. »Dieser Wagnerfimmel wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Sobald Brünnhilde daheim ist, läuft ihr Plattenspieler auf Hochtouren. Vielleicht ist es auch inzwischen so ein CD-Dingsda. – Am Sonntagabend hat sie bis in die Nacht hinein immer und immer wieder den
Walkürenritt
gehört – und das bei offenem Fenster.«
»Walkürenritt?«, fragte Irma. »Kennen Sie sich mit Wagner so gut aus, dass Sie das Stück erkannt haben?«
»Die Lore hat mir immer gesagt, wie die Stücke heißen. Sie hat auf Brünnis Schallplatten und Kassetten nachgeguckt. Den Walkürenritt braucht man nur einmal zu hören, um ihn jederzeit wiederzuerkennen.« Frau Würmle-Brommer verschränkte die Arme fest vor der Brust, als müsse sie sich vor etwas schützen. »Es ist eine Musik, bei der es einem gruselt und eiskalt den Rücken hinunterläuft.Wirklich schlimm!«
»Vielleicht ist es auch schlimm, Brünnhilde zu heißen?«, sagte Irma. »Dieser Name ist heutzutage nicht mehr üblich und reizt sicherlich zu Spott.«
»Stimmt«, gab Adelheid Würmle-Brommer zu. »Aber eigentlich kann sie froh sein, dass sie nicht Ortlinde, Schwertleite, Siegrune oder Rossweiße genannt worden ist.«
»Was sind denn das für Namen?«, fragte Irma irritiert.
»So heißen die anderen Walküren bei Wagner«, sagte Frau Würmle-Brommer. »Aber es lag weniger an ihrem Namen, Brünnhilde ist sowieso von Kindheit an verspottet worden. Sie war eigentlich nie richtig normal.«
»Nicht normal?«
»Na ja, als Kind sah sie aus wie ein Mastschweinchen, und dann ist sie hochgeschossen zu einer Bohnenstange. Möchten Sie Kurtz heißen, wenn sie so lang wären?« Bevor Irma antworten konnte, sagte Frau Würmle-Brommer: »Blöd war sie nicht, wenn Sie das meinen. Sonst hätte sie es ja nicht bis zur Bankfilialleiterin gebracht. Wenn sie frühmorgens gewissenhaft pünktlich und korrekt gekleidet das Haus verlässt, würde niemand vermuten, wie die sich daheim aufführt!«
Frau Würmle-Brommer hatte sich in Rage geredet, und Irma nutzte eine Luftschnapp-Pause, um eine weitere Frage loszuwerden: »Kennen Sie Frau Kurtz’ jüngere Schwester?«
»Die Brünnhilde hat doch keine Schwester!«
»Vielleicht ist es gar nicht die Schwester«, sagte Irma. »Aber außer Frau Kurtz wohnt doch noch eine junge Frau in dem Häuschen? Eine zierliche Frau mit langen blonden Locken?«
»Nie gesehen«, sagte Frau Würmle-Brommer. »Aber in einem haben Sie recht: Da wohnt noch jemand. Seit ungefähr einem Jahr.« Es folgte ein Hüsteln und ein heiseres Lachen. »Der Jemand sieht aber eher nach einem Bruder aus als nach einer Schwester.«
»Können Sie mir den jungen Mann beschreiben?«
»Von langen Locken kann keine Rede sein. Seine Haare sind glatt und dunkel, fast blauschwarz, so zigeunermäßig, wissen Sie?«
»Ist er so groß wie Frau Kurtz?«
»I wo«, kicherte Frau Würmle-Brommer. »Der ist ziemlich klein und dünn wie ’n Windhund.«
»Kennen Sie ihn näher?«
»Nein. Er kriegt genauso selten den Mund auf wie Brünnhilde. Aber wenigstens grüßt er. Manchmal kommt er mir wie ihr Butler vor. Seit sie neuerdings ein Auto hat – was Feines, einen Sportwagen – fährt er Brünnhilde durch die Gegend. Ich nehme an, zum Einkaufen oder so. Wochenende vielleichtin den Schwarzwald oder was weiß ich.« Frau Würmle-Brommer kicherte wieder. »Dem kleinen Kerl passt der Sportwagen wie angegossen, aber die Walküre Brünnhilde braucht zum Einsteigen einen Schuhlöffel.«
In diesem Moment sah Irma, wie Katz um die Hausecke bog, hinter der er wahrscheinlich schon eine Weile gelauscht hatte. Sie gab ihm ein Zeichen, dass er sich wieder zurückziehen sollte. Sie wollte nicht riskieren, dass der Redefluss vom Balkon womöglich verebbte, wenn Katz sich blicken ließ.
Katz tauchte zurück, und Irma fragte weiter: »Wie heißt denn der junge Mann, der bei Frau Kurtz wohnt?«
»Keine Ahnung«, sagte Frau Würmle-Brommer. »Hat sich nicht bei mir vorgestellt.«
»Wissen Sie, wo er arbeitet?«
»Ich glaube, der geht keiner geregelten Arbeit nach. Anfangs, als er
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