Lemberger Leiche
über Martin?«, fragte Irma ungehalten.
»In einer Kleinstadt wie Itzehoe erfährt man das, ob man will oder nicht.«
»Lass mich mit Martin zufrieden«, sagte Irma. »Das ist Schnee von gestern. Das heißt, dieser Schnee ist schon seit über zwei Jahren weggetaut. Ich fühle mich als Single sehr wohl.«
»Wenn du so weitermachst, kommst du nie in die Puschen.«
Darauf antwortete Irma nicht. Von Leo hatte sie ihrer Mutter wohlweislich noch nichts erzählt.
Irma und Leo hatten sich im vorigen Winter kennengelernt, während Leo als vermeintlicher Mörder in Untersuchungshaft saß. Als sich der Verdacht gegen ihn als Irrtum herausstellte, hatten die zwei bereits Feuer gefangen. Irma wusste, wenn ihre Mutter diese Geschichte kennen würde, käme es zu einem unaufhörlichen, hartnäckigen Frage- und Antwortspiel. Und viele Fragen konnte sich Irma selbst noch nicht beantworten. Sie hoffte, Leo im Urlaub auf Mallorca wiederzusehen. Es stimmte nicht, dass sie sich als Single wohlfühlte. Sie träumte von Leo und der Insel.
»Was meinst du, Mam«, lenkte sie ab. »Wollen wir morgen etwas unternehmen?«
»Was schlägst du vor?«
Irma hatte sich, seit sie die Filialleiterin Kurtz als die Frau erkannt hatte, die beim Weinblütenfest gewesen war, vorgenommen, noch einmal auf den Lemberg zu gehen. Sie wollte sich dort ein bisschen umsehen und hoffte, ihr würde dabei irgendetwas auffallen, worauf sie am vorigen Sonntag nichtgeachtet hatte. Das sagte sie ihrer Mutter aber nicht, sondern schlug nur vor, am Samstag auf den Lemberg über den Feuerbacher Höhenweg zu wandern.
»Es ist einer der schönsten Panoramawege Stuttgarts. Wir nehmen für unterwegs ein Picknick mit und kehren später in Feuerbach ein.«
Obwohl Mama Eichhorn für Wanderungen nichts übrig hatte, schien ihr der Vorschlag, in Stuttgarts exklusiver Höhenlage zu picknicken und anschließend eine gute schwäbische Mahlzeit einzunehmen, recht reizvoll. Dass dazu einige Gläschen schwäbischen Weins, für den sie inzwischen eine Schwäche hatte, gehören würden, war so recht nach ihrem Geschmack. Sie stimmte also freudig zu.
Auch mit Irmas Vorschlag, dass sich ihr Kollege Katz dem Ausflug anschließen würde, war Mama Eichhorn einverstanden.
Auf Irmas Frage, was denn Mamas Zukünftiger und sein Sohn am nächsten Tag vorhätten, erfuhr sie, dass die zwei Jansens ins Mercedes-Benz-Museum gehen wollten.
»Da bin ich wirklich kein büschen scharf drauf«, sagte Mama Eichhorn. »Wenn ich auch schnelle Autos liebe, Technik macht mich rammdösig.« Sie hakte sich bei Irma unter. »Ich freue mich auf einen Ausflug mit mien Deern. Wir können den ganzen Tag klönschnacken.«
»Darauf freu ich mich auch, und auch darüber, dass du mich den zwei smarten Herren vorziehst.« Irma lachte entspannt und dachte: Mam ist ja heute richtig anschmiegsam – wir haben uns tatsächlich noch kein einziges Mal gestritten!
Bevor sie schlafen gingen, tranken die zwei Damen Eichhorn noch einige Viertele Cannstatter Zuckerle. Davon besaß Irma einen Vorrat. Seit sie letzten Winter Frau Zuckerle aus Cannstatt als Mörderin entlarvt hatte, bekam Irma diese Weinsorte zu jedem möglichen Anlass von Kollegen und Bekannten geschenkt.
Gegen elf Uhr lag Mama endlich leicht beschwipst, was sie »angetüdert« nannte, im Bett. In Irmas Bett, das ihr als Mutter zustand.
Nachdem Irma ihr Nachtlager im Wohnzimmer auf der Ikea-Couch hergerichtet hatte, rief sie Steffen Katz an. Er fand die Idee, auf den Lemberg zu wandern, großartig, bedauerte sehr, dass seine Ina bei ihrem Fortbildungsseminar in Heidelberg war und fragte: »Meinscht, dei Mama hot was dagege, wenn i mei Oma mitbring?«
»Bestimmt nicht«, sagte Irma, obwohl sie etwas unsicher war, ob die beiden sich verstehen würden. Wegen Oma Katz’ breitem Schwäbisch war das fraglich.
»Ond Nutella? Mag dei Mama Hond?«
»Natürlich«, sagte Irma. »Bringt ihn nur mit, das wird lustig werden.«
Sieben
Samstag, 3. Juli
Der Wetterbericht hatte schwere Gewitter prophezeit. Das schien glaubhaft, da während der letzten Tage die Temperaturen bei 30 Grad und darüber gelegen hatten. Die Spannung der heißen Luft schien auf eine Zerreißprobe zuzusteuern.
Doch das Gewitter ließ auf sich warten. Jedenfalls hatte der Wettergott den Zeitpunkt verschlafen, denn als Irma und ihre Mutter mit Steffen Katz, seiner Oma und dem Mops Nutella um elf Uhr in Weilimdorf an der Landauer Straße aus der Straßenbahn stiegen, waren weit und breit keine
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