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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Anzeichen eines Unwetters zu sehen oder zu hören.
    Nach der Fahrt in der klimatisierten Straßenbahn lauerte draußen ein auf Hochtouren laufender Backofen. Doch die wanderwillige Gesellschaft war guter Dinge. Oma Katz’ schokoladenbrauner Mops benahm sich wie ein aufgedrehtes Kinderspielzeug. Er sprang von einem zum anderen und spulte seine Palette drolliger Töne von begeistertem Kläffen bis zu verliebtem Fiepen ab.
    Unter Steffens Leitung zog man gemächlich los.
    Großmutter Katz hatte aus ihrem Opernfundus eine dirndlähnliche Robe gewählt, dazu trug sie deftige Wanderschuhe und weiße Kniestrümpfe. Ihre sonst kunstvoll aufgesteckten Haare lagen heute als geflochtener Kranz um den Kopf. Neben ihr trippelte Mama Eichhorn, trotz mittelhoher Absätze einen Kopf kleiner, nett und mollig in mattrosa Rüschenbluse und moosgrünem Lodenrock. Eine Ausstattung, die sie sich für Schwarzwaldwanderungen angeschafft hatte. Ihre fransige Kurzhaarfrisur war frisch gewaschen und anmutig verwuschelt. Die Haare von Mutter und Tochter leuchteten feurig auf, sobald sie aus dem Schatten in die Sonne tauchten.
    Ungeachtet der drückenden Luft marschierten die Wanderer forsch drauflos. Nachdem ein Sträßchen mit Giebelhäusern hinter ihnen lag und die Lindenbachstraße überquert war, gelangten sie zu einer Grünanlage mit einem See, an dessen Ufer jede Menge einladende Bänke standen.
    Da es wider Erwarten zwischen Mama Eichhorn und Oma Katz keine Sprachprobleme gab – sie redeten meist gleichzeitig und schienen sich bestens zu verstehen – waren sie sich einig, auf einer dieser Bänke die erste Rast einzulegen.
    Nach einer Viertelstunde gelang es Steffen, sie zum Weiterwandern in Richtung Wald zu überreden. Ab da stieg der Weg leicht an und wurde nach und nach steiler, was das Wandertempo erheblich verringerte. Nach ein paar Kurven und Kehren erreichten sie einen Treppenaufgang. Katz beteuerte, sie befänden sich nun bereits auf halber Höhe vom Lemberg.
    An dieser Stelle stand eine Informationstafel, die als Grund für eine Verschnaufpause herhalten musste. Die Tafel belehrte, dass die Lücke im Berg, an dessen Fuß sich die Wanderer befanden, Kotzenloch hieß und hier einst von Weingärtnern Mergelgestein als Dünger abgebaut wurde. Des Weiteren erfuhr man, dass das Kotzenloch wegen der mineralhaltigen farbigen Kraterwände ein Naturdenkmal war, das aber leider langsam zuwachse. Oma Katz erweiterte diese Informationen, indem sie von Kotzenloch-Geistern erzählte, die bevorzugt in der Faschingszeit hier ihr Unwesen trieben.
    Auf Irmas Frage, weshalb das Kotzenloch Kotzenloch heiße, zog Frau Katz mit einem Seufzer die Schultern hoch und sagte: »Des woiß koi Mensch net.«
    Steffen behauptete dagegen, er habe aus zuverlässigen Quellen erfahren, die Weilimdorfer, die ja bekanntlich keine Weinberge besäßen, seien früher gern nach Feuerbach zum Saufen gegangen. Wer nicht viel vertragen konnte, hatte dann auf dem Heimweg hier in das Mergelloch gekotzt.
    Nachdem die Wanderer lange genug über das sagenumwobene Naturdenkmal diskutiert hatten, machten sie sich an den Aufstieg über die Treppe, die, abgesichert mit einem soliden Geländer, direkt neben dem Kotzenloch auf den Lemberg führte. Das war für die ältere Generation eine echte Herausforderung. Mama Eichhorn pausierte auf jeder zehnten Stufe und verlangte nach jeder zwanzigsten von Irma die Wasserflasche. Oma Katz, die die meisten Jahre auf dem Buckel hatte, entwickelte eine Technik langsamen Steigens mit kurzen rhythmischen Schritten. Auf diese Weise erklomm sie die über hundert Stufen ohne nennenswerte Probleme.
    Irgendwann kamen alle oben an. Nutella, der die Strecke dreimal hoch- und runtergewetzt war, lag schon hechelnd vor einer Bank, als ob er sie für seine Leute freihalten wollte. Die Bank stand im Schatten alter Eichen am Saum eines verwilderten Märchenwalds. Steffen erklärte seiner Wandergruppe, dass dieser Landschaftspunkt das
Horn
sei.
    Wer sich vorbeugte, konnte über die Weinberge hinunter nach Feuerbach und Weilimdorf sehen.
    Alle waren zufrieden, nur Nutella fiepte jämmerlich. Oma Katz drohte ihm mit dem Finger und kicherte.
    »Scho wieder!? Jedes Mal, wenn du dei Bein hebsch, drückt mir au die Blas!«
    Da Oma Katz öffentliche Toiletten verabscheute, freute sie sich, diese Angelegenheit im Grünen erledigen zu können. Sie ging mit ihrem Mops ein Stück in den Wald hinein, dicht entlang des Zaunes, der verhindern sollte, dass jemand ins

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