Lemberger Leiche
Er war nicht nur wegen der langen Fahrzeit sauer, sondern vor allem, weil er sich überhaupt nicht sicher war, was er von Fabian Knorr halten sollte. Deswegen gab er erst mal keine Meinung dazu ab und ließ Irma und Katz das Aufnahmegerät mit der Befragung abhören. Katz stufte die Antworten des Jungen als verdächtig ein. Irma äußerte sich nicht zu der Schuldfrage, sondern geriet wegen einer für Schmoll und Katz nebensächlich scheinenden Aussage Fabian Knorrs in helle Aufregung: Das blondgelockte Mädchen, das er auf dem Alten Friedhof gesehen haben wollte! Irma zog Helenes Fotos aus der Tasche und vergewisserte sich, dass die Kleidung, die die zwei Frauen beim Weinblütenfest getragen hatten, mit Fabians Beschreibung übereinstimmte. Allerdings trug die große Schwester keinen Kapuzenpullover, aber den konnte sie inzwischen ausgezogen und irgendwo entsorgt haben. Das schwarze T-Shirt hatte sie wahrscheinlich schon darunter angehabt.
Am Abend zuvor beim Bismarckturm, nachdem sie sich den Kopf freigejoggt hatte, war die Erkenntnis, dass der Verdacht, der sie schon lange unterschwellig umtrieb, kein Hirngespinst war, wie ein Geistesblitz bei ihr eingeschlagen. Seitdem ließ sich der Gedanke nicht mehr verdrängen. Helenes Fotos hatten die letzten Zweifel beseitigt.
Irma war froh, Schmoll und Katz die kuriose Geschichte anhand ihrer Zeichnung vorlegen zu können. Dazu gehörte eine plakative Skizze der Stadtkarte, auf der die Bankfiliale, der alte Friedhof, das Rathaus Feuerbach, die Fahrtroute des Pendelbusses zum Lemberg und das Kotzenloch eingezeichnet waren. Die Fixpunkte dieser Grafik waren mit Pfeilen, neben denen Daten notiert waren, verbunden.
Auf einem zweiten Flipchart waren alle Personen, die sich bisher bei dem Bankraub und dem Mord am Lemberg verdächtig gemacht hatten, der Reihe nach aufgelistet:
Fabian Knorr (Azubi in der Metzgerei Pützle)
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Ariadne Fröhlich (Knorrs Arbeitskollegin und Freundin)
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Adam Fröhlich (Ariadnes Vater. Taxifahrer)
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Klaus Kleiber (stellvertr. Leiter der ausgeraubten Bank)
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Darunter stand in fetten Großbuchstaben:
BRÜNNHILDE KURTZ (Filialleiterin)
KLEINE SCHWESTER = KLEINER BRUDER
Nachdem Schmoll und Katz eine Weile auf die Zeichnung und die Liste gestarrt hatten, waren beide aus der Fassung gebracht. Katz’ Nase erschien spitzer denn je, er biss sich auf die Unterlippe und zupfte heftig an seinem Schnauzbärtchen.
Schmolls Augenbrauen hoben sich in dem Maß, wie seine Mundwinkel absackten, und als Irma schon an einen leichten Schlaganfall dachte, weil seine Mimik erstarrte, zog Schmoll die Schultern bis zu den Ohren und zischte: »Deine Spekulation zu der zuletzt aufgeführten Person ist ehrlich gesagt zu hoch für mich. Wieso soll die kleine Schwester plötzlich ein kleiner Bruder sein?«
»Das Mädchen, das ich auf dem Weinblütenfest gesehen habe, war der Mann, der bei Frau Kurtz gewohnt hat. Also der junge Mann, von dem mir die Nachbarin Frau Würmle-Brommer erzählt hat. Für diesen als Mädchen verkleidetenMann haben wir Beschreibungen von drei Zeugen. Erstens von Erich Engelhard, der ein Mädchen nach seinem Kater gefragt hat, bevor er von einer großen, kräftigen Person umgestoßen wurde. Zweitens: Die zwei Feuerbacher Rentner haben eine große und eine kleine Person auf dem Alten Friedhof gesehen. Und drittens: Demnach scheint sich Fabian Knorr die beiden nicht ausgedacht zu haben. Das Verwirrspiel, dem ich und alle Zeugen auf den Leim gegangen sind, nämlich wer von den zwei Personen eine Frau und wer ein Mann gewesen ist, war gewollt in Szene gesetzt, um nicht erkannt zu werden. Durch ihre Statur wurde Frau Kurtz für einen Mann gehalten. Das Mädchen aber war ein junger Mann, der eine blonde Perücke getragen hat.« Irma tippte auf die Namensliste und sagte mit Nachdruck: »Ich gehe davon aus, dass Frau Kurtz und dieser junge Mann, der zur Tatzeit als Mädchen kostümiert war, gemeinsam den Bankraub begangen haben.«
Es folgte minutenlange Stille, in der allen dreien der Kopf rauchte.
Danach erkundigte sich Katz vorsichtig: »Het onser Raub-Stöckle dem scheene Gschichtle: Bankangestellte räumet höchstpersönlich den Tresor ihrer Filiale aus, net absoluten Seltenheitswert eingräumt ond es zu de Akte glegt?«
Schmoll rieb seine Stirn und hob die Schultern. »Es gibt nichts, was es nicht gibt! Allerdings sollten wir außer diesen doch etwas laschen Zeugenaussagen wenigstens einen wirklichen Beweis haben.«
Irma legte die Fotos, die
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