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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Ramge
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Höhen gezeigt. Irma hatte begonnen, die Stadt kennen und lieben zu lernen. An jenem Tag waren sie ebenfalls zur Pathologie unterwegs gewesen, zu der Leiche des jungen Industriellen Rolf Ranberg.
    Irma war froh, auch heute Schmoll an ihrer Seite zu haben. Manchmal hatte er sie schon alleine in Dr. Bocksteins »heilige Hallen«, wie Schmoll die Pathologie nannte, geschickt. Nicht weil Schmoll keine Zeit gehabt hätte, sondern weil sich die beiden gestandenen Mannsbilder, Kriminalhauptkommissar Schmoll und Rechtsmediziner Dr. Bockstein, nicht grün waren. Bockstein ärgerte sich über Schmolls Ungeduld, mit der er die Untersuchungsergebnisse sofort oder früher verlangte. Und Schmoll verdächtigte Bockstein, mutwillig länger als erforderlich an den Leichen herumzuschnippeln, wie er sich ausdrückte, um sich wichtig zu machen.Schmoll wollte nicht einsehen, dass viele der Untersuchungen Zeit kosteten, und Bockstein wollte nicht einsehen, dass der Erfolg bei Schmolls Ermittlungsarbeit oft von schnellen Obduktionsergebnissen abhing. Zudem entschieden die rechtmedizinischen Resultate auch darüber, ob die Staatsanwaltschaft einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss beantragte oder ob ein Verdächtiger dem Haftrichter vorgeführt werden konnte.
    Irma amüsierte dieser Zwist, der nicht ganz ernsthaft, aber hartnäckig ausgefochten wurde. Sie war gespannt, was die zwei Herren sich diesmal wieder an die Köpfe werfen würden.
    Darin wurde sie heute allerdings enttäuscht. Dr. Bockstein, der Hautfarbe und der Statur nach ein Massai-Krieger, obwohl sein Stammbaum in Bebenhausen verwurzelt war, bleckte freundlich sein eindrucksvolles Pferdegebiss.
    Er begann bereitwillig, seine Untersuchungsergebnisse aufzuzählen: »Männlich. Etwa 25 Jahre. 163 cm groß. Sehr schlank, ohne unterernährt zu sein. Alle Organe unglaublich gesund. Die Todesursache ist nicht die Wunde im Genick. Er hat sein Leben auch nicht durch den Sturz ausgehaucht, sondern er ist verdurstet, während er im Gebüsch hing.«
    »Er hätte doch um Hilfe rufen können«, sagte Irma leise.
    »Vielleicht hat er es getan, bevor er ohnmächtig geworden ist«, sagte Dr. Bockstein. »Vielleicht hat er gerufen und es hat ihn niemand gehört oder hören wollen.«
    Irma lehnte sich an die Wand. Jetzt bloß nicht umkippen, dachte sie. Wie kommt es nur, dass mir der Tod des jungen Mannes so nahe geht? Ist Verdursten schlimmer als erschossen oder erstochen zu werden? Ja, es ist schlimmer. Weil das Sterben länger dauert. Eventuell tagelang.
    Irma hörte nun wieder Dr. Bocksteins Stimme: »Wie gesagt, innerlich fantastisch gesund. Äußerlich leider nicht mehr so hübsch, wie er wahrscheinlich gewesen ist, da er mindestens acht Tage lang hohen Temperaturen und gefräßigem Waldgetier ausgesetzt war. Aber sehen Sie selbst.«
    Bevor Bockstein das Tuch von der Leiche ziehen konnte, hielt Irma ihn zurück und sagte flehend: »Ich möchte nur den linken Arm sehen.«
    Bockstein nickte und schob freundlich zähnebleckend das Tuch von dem gewünschten Körperteil. Irma zeigte auf einen grüngoldenen Drachen, der vom Oberarm zum Ellenbogen kroch.
    Sie sagte: »So ein Tattoo hat Frau Kurtz auch. Beide haben es mir am Sonntag, den 27. Juni, auf dem Lemberg gezeigt.«
    »Aha«, sagte Schmoll etwas irritiert, weil ihm das neu war. Und an Bockstein gewandt: »Dann können Sie den jungen Mann wieder einschieben, Herr Doktor.«
    Bockstein tat’s, und Schmoll fragte, ob an der blonden Perücke Schweiß oder Hautpartikel von der Leiche gefunden worden seien.
    Dr. Bockstein sagte, dass er die DNA-Analyse abwarten müsse, bevor er das mit Sicherheit sagen könne.
    »Und wann ist mit den Ergebnissen zu rechnen?«, fragte Schmoll ungeduldig.
    »Die Auswertung braucht ihre Zeit, werter Herr Hauptkommissar. Sie haben das Kerlchen ja erst vor zwei Tagen angeliefert. – Wisst ihr inzwischen, wer es ist?«
    »Um das herausfinden zu können, fehlt uns die DNA«, sagte Schmoll giftig.
    Dr. Bockstein lächelte.. »Ich hab meine Ergebnisse ans kriminaltechnische Institut weitergegeben, aber hexen können die auch nicht.«
    Schmoll und Irma verließen das Areal des Robert-Bosch-Krankenhauses so, wie sie gekommen waren – über den Hinterausgang zu den Weinbergen – und machten sich auf den Abstieg über den Treppenweg.
    Auf halber Strecke, als der Verkehrslärm von der Kreuzung am Pragsattel bereits lauter zu hören und die Abgase zu riechen waren, unterbrach Schmoll den Schweigemarsch: »Wenn nun auch die

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