Lemberger Leiche
Verbindung zwischen diesem jungenMann und Frau Kurtz feststeht und es durchaus sein kann, dass sie gemeinsam die Bankfiliale ausgeräumt haben, wissen wir noch lange nicht, ob Frau Kurtz schuld an seinem Tod ist.«
»Ich habe sie an dem Tag, der als Mordtag in Frage kommt, zusammen in der Nähe des Tatortes gesehen!«, erinnerte Irma.
»Dass der Mord an diesem Tag verübt wurde, ist nicht bewiesen«, gab Schmoll zu bedenken. »Der Junge kann auch ein oder zwei Tage später umgebracht worden sein. Da ist doch auch noch die Grube im Dickicht! Hatte sein Mörder vor, ihn dort zu vergraben? Oder war der Junge noch quicklebendig und wollte dort selbst die Beute versenken?«
»Ich glaube«, überlegte Irma, »wenn die Beute dort versteckt werden sollte, ist es nicht dazu gekommen, weil sich aus irgendeinem Grund die Situation geändert hatte. Jedenfalls steht fest, dass der junge Mann alias kleine Schwester zusammen mit Frau Kurtz zum Weinblütenfest gekommen ist und sie es auch gemeinsam wieder verlassen haben. Ich vermute, dass die beiden an diesem Tag auch zusammen in den Wald gegangen sind. Aber in die Grube sollte die Beute und nicht der Junge. Das Loch hatte die Maße der Kühltasche.«
Schmoll blieb stehen, setzte sich auf eine Stufe. Irma, die sonst immer zu ihm hinaufschauen musste, blickte auf ihn herunter und sah fasziniert zu, wie sich das Wellblechdach über seiner Stirn bis über die halbe Glatze aufbaute.
Schmoll guckte zu Irma hoch und fragte: »Hast du gerade Kühltasche gesagt? Wieso Kühltasche? Gibt es noch mehr Geheimnisse, die du deinem Boss bisher verschwiegen hast?«
Irma grinste. »Du hast ja das Thema ›Schwestern auf dem Lemberg‹ immer sofort abgewürgt, ohne mir zuzuhören.«
»Also, jetzt raus damit: Was ist mit der Kühltasche?«
Irma setzte sich neben ihn auf die Treppe und blickte in die Richtung, in der der Lemberg lag.
»Die Schwestern hatten auf dem Weinblütenfest eine Kühltasche dabei. Darin sollten angeblich die Erdbeeren transportiert werden, die sie in ihrem angeblichen Kleingarten ernten wollten. Frau Kurtz hat diese Tasche nicht aus den Augen gelassen. Sie ist nervös geworden, als ich versehentlich mit dem Fuß daran gestoßen bin. Ich wette, da war das Geld drin.«
»Raffiniert«, brummte Schmoll. »Kühltasche als Geldtransporter! Aber jetzt mal ganz nüchtern: Das Geld ist verschwunden. Frau Kurtz hat sich aus dem Staub gemacht. Wir wissen nicht, wer der junge Mann ist, der bei Bockstein auf Eis liegt. Wir können nicht beweisen, dass Frau Kurtz den Jungen umgebracht hat. Was meinst du, warum sie es getan haben könnte?«
»Vielleicht um das Geld von dem Bankraub nicht mit ihm teilen zu müssen«, sagte Irma. »Oder damit es keinen Zeugen gibt. Aber ich frage mich ja selbst immer wieder, ob einer unbescholtenen Bankangestellten Raub und Mord zuzutrauen sind.«
Schmoll hatte damit mehr Erfahrungen.
Er behauptete, ohne zu zögern: »Merk dir eins, Irma – bei jedem Kriminalfall muss man jedem alles zutrauen. Sonst ist es ziemlich aussichtslos, Verbrechern auf die Spur zu kommen. Du musst Frau Kurtz finden, dann werden wir sehr rasch wissen, ob sie mit dem Raub oder mit dem Mord – oder mit beidem – etwas zu tun hat. Vergiss nicht, dass unser Verdacht bisher nur Theorie ist.«
Sie gingen weiter, beide schweigsam und in sich gekehrt. An diesem Tag waren weder Schmoll noch Irma in der Lage, sich für den Panoramablick über Stuttgart zu begeistern.
»Okay«, sagte Irma. »Ich fliege also nach Palma und versuche Frau Kurtz zu finden. Aber was nützt das? Sie wird mir nicht erzählen, wie sie ihre Bank ausgeräumt hat, und auch nicht, was anschließend im Wald passiert ist.«
»Du sollst sie ja auch nicht fragen, was sie vor ihrer Reise angestellt hat«, sagte Schmoll genervt. »Beobachte sie. Vielleichtfällt dir auf, dass sie mit Geld um sich wirft. Versuche, an Geldscheine zu gelangen, die sie ausgibt. Ein Teil der Scheine aus dem Bankraub ist registriert. Erst wenn wir solche Beweise haben, wird mir die Staatsanwaltschaft spanische Amtshilfe beantragen und einen internationalen Haftbefehl genehmigen. Auf alle Fälle muss dann die Polizei zugreifen und nicht du. Du bist sozusagen eine Vorhut – sei bitte nicht wieder so leichtsinnig wie bei deiner Jagd nach Frau Zuckerle in Cannstatt.«
Dazu äußerte sich Irma nicht, sie dachte nicht gern an die lebensgefährliche Situation, in die sie im vorigen Winter hineingeraten war. Stattdessen fragte sie Schmoll,
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