Lenke meine Fuesse Herr
Weinflasche im Rucksack zu verstauen, als ich gesättigt und nun doch etwas müde aufbreche.
Über die Brücke, am lockenden Refugio mit der Leine voller Wäsche im Garten vorbei, zwischen Friedhof und einer Kapelle hindurch. Es geht auf Flurbereinigungswegen flott vorwärts. Dunkle Wolken ziehen auf, Wind erhebt sich, die Sonne sinkt: Zeit, einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Ich liebäugele mit den riesigen Strohhaufen, die auf den Feldern aufgeschichtet sind. Da lacht mich rechts am Berghang, eingebettet in die Trockenmauer der Terrassierung, eine Steinhütte an — jenseits eines frisch abgeernteten Kornfeldes, so weit weg vom Weg, dass sie vielleicht nicht von Pilgern als Toilette benutzt wurde. Tatsächlich: Das Innere der Hütte ist sauber, wenn auch ein bisschen staubig. Ich richte mein Lager her, esse noch ein Stück Brot und Wurst, trinke die Weinflasche leer und krieche in den Schlafsack.
So gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen.
Freitag, 8. Juli 2005
Los Arcos – Logroño 28 km
Um sechs wache ich auf — schön war der ruhige Schlaf da draußen! Unten auf dem Weg gehen schon die ersten Pilger - auf! Schnell gefrühstückt — Brot, Wurst, Wasser, doch großen Hunger habe ich nicht. Packen — ist die Hütte auch so ordentlich, wie ich sie vorgefunden habe? Die leere Weinflasche stecke ich einige Meter entfernt unter einen Stein in der Mauer. Gegen halb sieben bin ich unten auf dem Weg. Erst einmal weiter auf breiten, gekiesten Flurbereinigungswegen, durch abgeerntete Getreidefelder, dann geht es vor Sansol ins Tal. Hoch ins Dorf, das von der Nationalstraße untertunnelt ist, dann wieder hinab ins Tal — dort lädt ein Brunnen zu Rast; dann weiter nach Torres del Rio. Die Kirche ist, wie nicht anders zu erwarten, abgesperrt, doch die Bar ist offen.
Während ich ausgiebig frühstücke, Handy- und Fotoakku auflade, erfahre ich aus dem Fernsehen von den Terroranschlägen in London. Das Freitagmorgengespräch mit Silvia ist schwierig, immer wieder reißt die Verbindung ab. Das Lokal füllt sich, ich mache den Neuankömmlingen Platz, nachdem ich einen Muschelanstecker gekauft habe, der an meine kleine Tasche kommt.
Nächste Station, nach zum Teil abenteuerlichem Steigen, ist Viana, wo Cesare Borgia begraben ist, der nicht weit von hier in der Schlacht von Mendavia ums Leben kam. Die Kathedrale: beeindruckend, allein schon von den Dimensionen des Altars her, doch trotzdem auch ein Ort zur inneren Einkehr. Amüsant, doch auch nachdenklich machend, ist die Tafel am Eingang, die Besucher auf dezente Kleidung aufmerksam macht.
Ais ich auf die Straße komme, herrscht gespenstische Ruhe: Schweigeminute für die Opfer der Londoner Anschläge. Dann kommt wieder Leben in den Ort, ich durchquere ihn und stelle fest, dass die alten Gemäuer liebevoll restauriert werden. Überhaupt sehe ich hier in Spanien, dass man sich bemüht, den Verfall der letzten Jahrzehnte aufzuhalten oder zu reparieren. Den Berg hinab, durch Gärten und Felder, ein Blick zurück über wilde Artischocken hinweg. Ich überhole zwei Frauen aus Tübingen, Mutter und Tochter, und zwei junge Männer, von denen einer am rechten Fuß nur einen Badelatschen trägt, so dick verpflastert und voller Blasen ist er: tapfer!
An der Eremita de la Trinidad de Cuevas bin ich gerade am Maulbeeren pflücken, als die beiden Schwäbinnen kommen. Wir lassen uns an einer der Picknickbänke nieder und ich teile Brot, Wurst und Pâte de Pallo mit ihnen. Weiter geht’s, am Natur/Vogelschutzgebiet vorbei. Kurz vor Logroño vor einem Bauernhaus der Stand einer Frau, die den Pilgern Andenken verkaufen will und ihnen die Pässe abstempelt. Später erfahre ich, dass sie am Camino eine Berühmtheit ist.
Hinab in die Vorstädte — mir fallen die Schwärme von Störchen auf, die über der Stadt und dem Umland kreisen. Ich komme an die Brücke über den Ebro: Auf der hat man ein Informationsbüro für Pilger eingerichtet und ich bekomme hier nicht nur einen Stempel in meinen Pilgerpass, sondern auch einen Stadtplan und die Adressen von zwei Privatpensionen. Ich werde hier einen Rasttag einlegen und möchte den nicht in einer Massenherberge verbringen. Beim Suchen in der Altstadt entschließe ich mich aber doch für ein Hotel, auch wenn es 50,00 € pro Nacht kostet — ein bisschen Luxus möchte ich mir gönnen. Duschen, waschen, ruhen , dann ein Bummel durch die Stadt. Vor der Kathedrale kann ich nur staunen: auf dem Turm bestimmt ein halbes Dutzend
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