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Lennox 01 - Lennox

Titel: Lennox 01 - Lennox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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verrückt. Anschließend ging ich in mein Büro, und dort erhielt ich den Anruf. Er kam von einer jungen Frau. Sie sprach beinahe so, als gehörte sie zur Mittelschicht, doch ab und zu schlich sich Glasgow in ihre Stimme, wie ein unerwünschter grobschlächtiger Verwandter, der sich durch die Tür zu quetschen versucht, weil er an der Dinnerparty teilnehmen will. Ihren Namen nannte sie mir nicht, auch nicht, als ich danach fragte.
    »Es genügt, wenn Sie wissen, dass ich eine enge Freundin von Tam McGahern war. Ich weiß, dass Sie Fragen über ihn stellen. Ich habe Informationen, die Sie brauchen.«
    »Nur zu. Ich höre.«
    »Nicht am Telefon. Wir treffen uns am Fluss, am Broomielaw, heute Abend um zehn.«
    »Wissen Sie was«, entgegnete ich, »ich begreife nie, weshalb die Leute im Kino so etwas immer sagen, und warum irgendein Blödmann jedes Mal darauf eingeht. ›Nicht am Telefon. Wir treffen uns persönlich. Irgendwo, wo es abgeschieden und dunkel ist, damit wir Ihnen ungestört den Schädel mit der Brechstange einschlagen können.‹ Warum sollte ich Sie irgendwo treffen, wo es dunkel und still ist?«
    »Weil sehr gefährliche Leute in die Sache verwickelt sind. Ich möchte nicht gesehen werden, wie ich mit Ihnen rede.«
    »Ich habe eine bessere Idee. Wir treffen uns in der Schalterhalle der Central Station und verstecken uns in der Menge. Und nicht um zehn, sondern um neun. Wenn ich zu spät ins Bett komme, kriege ich Falten.«
    Sie wollte widersprechen, aber ich legte auf.
     
    Die Central Station war von meinem Büro in der Gordon Street gleich um die Ecke, aber ich kehrte zuerst in meine Bleibe zurück und machte mich frisch. Mit dem Auto fuhr ich wieder in die Stadt, parkte auf der Argyle Street und ging zu Fuß zum Bahnhof, damit ich Gelegenheit hatte, alles in Ruhe zu erkunden.
    Ich traf früh ein, gegen zwanzig vor neun, stand unter der großen Uhr und blickte auf den Fahrplan, als wollte ich eine Reise machen. Noch immer waren ausreichend viele Menschen im Bahnhof. Der Zug aus Edinburgh fuhr ein, und eine Woge aus Reisenden rauschte durch die Kaverne des Bahnhofsgebäudes. Dann wurde es wieder ruhig. Es war zehn vor neun.
    Ich wurde einer ziemlich kleinen Gestalt neben mir gewahr. Genauer gesagt, mir drang ihr Geruch in die Nase. Ein Mann um die fünfzig. Oder zwanzig. Mit Hingabe betriebenes Trinken hatte die Unterschiede weitgehend verwischt. Die Linien auf seinem ungewaschenen Gesicht, wo der Schmutz sich in die Falten gesetzt hatte, sahen aus, als wären sie ihm mit einem Kohlestift auf die graue Haut gezeichnet worden. Er sah zu mir hoch und entblößte seine Zahnstummel.
    »All’s prima, Kumpel?«
    »Könnte gar nicht besser sein. Und selber?«
    »Ach ja, kann nich’ meckern. Wär ja auch sinnlos. Hätten Se vielleicht ’n paar Pennys über?« Der Stadtstreicher redete in der kehllautlastigen Glasgower Mundart, die mich anfangs, als Neuling in dieser Stadt, fassungslos gemacht hatte. Damals hatte ich geglaubt, in Glasgow lebte ein großer Anteil Gälischsprechender. Ich hatte Wochen gebraucht, bis mir klar geworden war, dass es Englisch sein sollte.
    »Lassen Sie mich raten«, sagte ich. »Sie haben Ihr Fahrgeld nach Hause verloren und möchten es sich nun von mir leihen, stimmt’s? Ich brauche Ihnen nur meine Adresse zu geben, und Sie versprechen, dass Sie mir gleich morgen früh als Erstes einen Scheck schicken.«
    »Nee.« Er grinste breiter. Ich wünschte, er hätte es gelassen. »Nee, so was würd ich nie sagen. Ich sag Ihnen, wofür ich das Geld ha’m will. Versaufen will ich’s. Ich könnte Se anlügen, aber die Wahrheit is’, ich bitt Se um ’n paar Pennys, damit ich mir einen reintun kann.«
    »Ich bewundere Ihre Ehrlichkeit.«
    »Damit kommste immer am besten zurecht, Kumpel. Aber ich sag Ihnen was: Egal wie viel Se mir geben, ich investier’s gut. Geben Se mir ’n paar Shilling, und ich garantier Ihnen, keiner kann davon so lange besoffen bleiben wie ich, ganz egal, wer Se heute noch um Geld anhaut.«
    »Ihr Verkaufsgespräch bewundere ich auch«, sagte ich.
    »Danke, Kumpel. Auf dem Gebiet bin ich der führende Experte.«
    Ich lachte und gab ihm eine Half Crown, und weg war er.
    Die Bahnhofsuhr schlug neun. Ich schaute mich wieder um. Keine geheimnisvollen blonden Femmes fatales. Keine Gorillas mit der Hand in der Jackentasche. Ich wartete noch einmal zehn Minuten. Nichts. Nach weiteren fünf Minuten verließ ich den Bahnhof. Mein Date fand die Central Station offenbar nicht

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