Lennox 02 - Lennox Rückkehr
eine Menge. Ich las fast alles, egal von wem, über jedes Thema. Eine Grenze zog ich nur bei Hemingway, wie ich schon zu Devereaux gesagt hatte.
Glasgow gehörte zu jenen Städten, die gern mit ihrem Wissen protzten. Die Universität war eine Sammlung großzügiger, beeindruckender viktorianischer Bauten, aber die schrillste Erklärung, wie gelehrsam Glasgow sei, hatte sogar eine Kupferkuppel: Die Mitchell Library stand imponierend mitten in der Stadt und war ganz korinthische Säulen. Im ursprünglichen Entwurf war keine Kuppel im Stil der St. Paul’s Cathedral vorgesehen, aber der Stadtrat hatte darauf bestanden. Jetzt verkündete die Mitchell Library dem übrigen Schottland und der Welt: Schaut nur, auch wir haben Bücher!
Ich wartete im Lesesaal der Bibliothek. Ein kleiner Mann mit frühzeitig ergrautem Haar trat zu mir.
»Hallo, Lennox«, sagte er, ergriff mit beiden Händen meine Rechte und schüttelte meinen Arm wie einen Pumpenschwengel. Ian McClelland war ein überschwänglicher Mensch. Seine freundliche Ausgelassenheit heiterte mich jedes Mal auf, wenn ich ihn traf. Trotz seines makellos keltischen Namens war McClelland ein Engländer, wie er im Buche stand. Er kam aus Wiltshire und hatte den üblichen Weg eines Sprösslings der oberen Mittelschicht durch beste Privatschulen nach Cambridge genommen. Vermutlich war er mein einziger Bekannter, den ich fragen konnte, wie man ein Fischmesser hielt.
McClelland war Dozent für Politologie und Fernostexperte. Ich hatte bei einem Universitätsfest seine Bekanntschaft gemacht. Ich pflegte damals mit einer jungen Französischdozentin Verben zu konjugieren. Die Romanze hielt nicht an, die Freundschaft mit McClelland schon. Er kleidete sich wie ein Akademiker, sah aber aus irgendeinem Grund nicht so aus. Bei mehr als einer Gelegenheit war mir der Verdacht gekommen, dass McClelland, der viel Zeit im Fernen Osten verbracht hatte, das eine oder andere Mal mit der Welt der Geheimdienste in Berührung gekommen war.
»Wie geht es Ihnen, Ian?«, fragte ich in Bibliothekslautstärke. »In letzter Zeit irgendwelche Studentinnen verführt?«
»Nur geistig, alter Junge. Nur geistig. Sie sagten am Telefon, es gehe um eine Jadefigur?«
Er hatte die Aufmerksamkeit von zwei typischen Akademikern erregt, die sich an einem der Tische über ihre Arbeit beugten. McClelland führte mich an einen anderen Tisch, wo er mehrere Nachschlagewerke bereitgelegt hatte.
»Ja«, sagte ich, als wir saßen. »Hässlich wie die Sünde. Jede Menge Reißzähne und große Glupschaugen. Ich glaube, es war ein Drache. Er schien Paarhufe zu haben, wie eine Ziege. Vielleicht war es ein Dämon. Hier ...« Ich legte ihm die Skizze vor, die ich gemacht hatte.
»Der Drache ist eine wichtige volkstümliche Gestalt in China.« McClelland musterte die Zeichnung und runzelte die Stirn. »Was Sie hier gezeichnet haben, ist kein Drache, sondern ein Qilin. Die Hufe verraten es. Giraffenhufe. Sie sagen, es war aus Jade?«
»Es sei denn, die Chinesen machen Götterfiguren aus grünem Bakelit.«
»Ich kann verstehen, dass Sie es für einen Drachen gehalten haben. Jadedrachen gibt es zuhauf. Wie groß war es?«
»Zwei Fuß ungefähr.«
»Dann könnte es eine beträchtliche Summe wert sein.«
»Wie viel?«
»Das lässt sich unmöglich sagen, ohne es gesehen zu haben. Es hängt sehr von der Qualität der Jade ab – und da gibt es enorme Unterschiede. Und natürlich wird so etwas gern gefälscht. Wenn es wirklich solide Jade ist, dann tausend. Vielleicht zweitausend. War es ein tiefes Smaragdgrün?«
»Das Licht war schlecht. Ich habe eher einen Umriss erkannt als sonst was, aber grün war es.« Ich strengte meinen Kopf an, um mir vor Augen zu rufen, was ich gesehen hatte, aber mein Verstand machte noch Teepause. »Nein, wahrscheinlich kein Smaragdgrün. Blasser. Milchiger. Wieso?«
»Kaiserjade ist herrlich durchscheinend und weist eine intensive smaragdgrüne Farbe auf. Sie ist selten und außerordentlich kostbar. Doch was Sie beschrieben haben, könnte alles Mögliche sein. Es muss sich nicht einmal um Jade handeln.« Er bemerkte mein Stirnrunzeln. »Sie hatten etwas anderes erwartet?«
»Fünfzehnhundert Mäuse reichen nicht aus für den Kummer, den diese Statue verursacht.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ist sie gestohlen?«
»Sagen wir, ich versuche sie dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben in der Hoffnung, dass ich damit jemanden vom Haken bekommen – einem reichlich großen und verdammt
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