Lennox 02 - Lennox Rückkehr
niemand beigebracht hatte, was das Wort »ducken«, bedeutete.
»Okay«, sagte ich. Ich blickte mich im Zimmer um, wie man es tut, wenn man an dem Punkt angelangt ist, wo man eigentlich aufgefordert werden sollte, sich zu setzen, nur dass einem noch kein Platz angeboten wurde. »Hübsches Haus. Mir gefallen die Bilder. Ich war mir allerdings nie sicher, wo der abstrakte Expressionismus aufhört und die lyrische Abstraktion beginnt.«
»Sie sind keines von beidem«, entgegnete Kirkcaldy. »Ich misstraue allen -ismen, egal ob politisch oder künstlerisch. Ich kaufe einfach, was mir gefällt und was ich mir leisten kann. Und leisten kann ich es mir nur, weil ich boxe.« Kirkcaldy redete nicht wie der durchschnittliche, von der Straße in den Ring aufgestiegene Faustvirtuose. Mir kam der Verdacht, dass die Bücher vielleicht doch nicht reine Schau waren. Ein bestimmter Typ von Schotten aus der Arbeiterschicht behandelte Wissen, das ihm in der Kindheit vorenthalten wurde, wie pures Gold. Für mich stand fest, dass die Körperintelligenz, die Kirkcaldy im Ring zeigte, nur Teil eines größeren Ganzen war.
Er wies auf ein Sofa, das dicht über dem polierten Parkett schwebte. Ich ließ mich darauf nieder.
»Verstehen Sie viel von Kunst, Mr. Lennox?«, fragte er dann und setzte sich in den Eames-Sessel mir gegenüber. Onkel Bert blieb stehen, vermutlich aus Macht der Gewohnheit: In der Vergangenheit – im Ring – hatte er ganz schön bluten müssen, um stehen zu bleiben.
»Ein bisschen«, sagte ich. »Vor dem Krieg habe ich mich dafür interessiert. Dann wurde von mir erwartet, dass ich mich für den Krieg interessiere. Aber hin und wieder gehe ich in Galerien.«
Kirkcaldy lächelte nickend. Sein Lächeln war genauso leer wie bei Sheila Gainsborough. »Ihnen ist aber klar, dass die Sache purer Blödsinn ist, oder?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Für mich hört es sich danach an, als würde jemand versuchen, Ihnen vor dem großen Fight Angst einzujagen. Viele Leute bieten viel Geld auf den Kampf, so oder so. Und einige dieser Leute schrecken nicht vor dreckigen Tricks zurück, um ihre Investition zu schützen.«
»Dass jemand versucht, mir Angst einzujagen, liegt auf der Hand, aber es klappt nicht. So leicht bekomme ich keine Angst, und jeder, der mich kennt, müsste wissen, dass ich eher mit dem Boxen aufhöre, als mich auf Schiebung einzulassen.«
»Hat jemand Ihnen so etwas nahegelegt? Telefonanrufe, unter der Tür durchgeschobene Zettel und dergleichen?«
»Nein. Nichts. Wie Sie schon sagten, nur Einschüchterung. Jemand versucht, meine Vorbereitung auf den Kampf zu stören.«
Ich nickte und machte mir Notizen. Vielleicht würde man Sneddon berichten, dass ich genickt und mir Notizen gemacht hatte. Das hier war ein genauso fruchtloses Unterfangen wie die Sache mit Small Changes Terminkalender. Mich überraschte daran nur, wie bereitwillig Kirkcaldy die Vorstellung akzeptierte, dass jemand versuchte, ihn vor dem Kampf aus dem Tritt zu bringen. Wie Jonny Cohen beschlich mich immer mehr das Gefühl, dass es eigentlich um etwas ganz anderes ging. Ich beschloss, ihn mit dieser Frage zu konfrontieren.
»Gibt es vielleicht etwas anderes, das diese Geschichten erklären könnte? Jemand, der Ihnen etwas nachträgt? Oder ein Streit, in den Sie verwickelt sind?«
Er spitzte die Lippen und dachte kurz darüber nach. »Nein. Ich wüsste niemanden, der so etwas aus persönlichen Gründen tun würde.«
»Gut«, sagte ich. Ich fand es interessant, dass er erst nachdenken musste, bevor er antwortete. So, als hätte er diese Möglichkeit nie in Betracht gezogen. Wir sprachen noch eine halbe Stunde miteinander, und ich notierte mir dabei alles, was passiert war, mit Datum und Uhrzeit. Kirkcaldy gab mir die Informationen, als hakte er eine Liste ab. Ich fragte ihn, ob ich den Wagen sehen könne, der mit roter Farbe bespritzt worden war, doch Kirkcaldy hatte ihn bereits neu lackieren lassen. Die Henkerschlinge hatte er weggeworfen, den toten Vogel natürlich auch.
»Was für ein Vogel war das?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Irgendein Vogel. Eine Taube, glaube ich. Ich weiß nur, dass er weiß war. Schneeweiß. Also war es wahrscheinlich eine Taube.«
»Woran ist er gestorben?«
»Woher soll ich das wissen?« Er war gereizt, und das Motherwell in seiner Stimme wurde deutlicher. »Was haben Sie jetzt vor?«
»Tja, ich habe nichts, dem ich nachgehen könnte. Sie sagten, Sie wüssten nicht, wer etwas Persönliches gegen Sie
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