Leo Berlin
Kopf, dass auf dem Weg von
der Mulackstraße, wo der Lumpensammler die Begegnung zwischen Erna
und ihrem mutmaßlichen Mörder beobachtet hatte, über die
Kleine Rosenthaler bis hin zur Linienstraße niemand sonst das Paar
gesehen haben sollte. Zumal am Samstagabend, an dem es im Viertel von
Menschen wimmelte. Hier war ein Ansatzpunkt.
Vor der »Roten Hand«
blieb er stehen. Stankowiak, der schweigend neben ihm gegangen war, sah
ihn fragend an.
Leo nickte.
Aus dem Lokal drang schrilles
Frauenlachen, jemand malträtierte ein ungestimmtes Klavier. Als sie
gerade die Tür öffnen wollten, klappte diese ruckartig auf und
entließ drei Betrunkene samt Freundinnen auf die Straße. Die
Gruppe taumelte johlend davon. Die beiden Polizisten zeigten dem Türsteher
ihre Dienstausweise und betraten das in rotes Licht getauchte Lokal. Auch
innen an der Wand prangte ein Schild in Form einer leuchtend roten Hand.
An den Tischen saßen dicht gedrängt die Paare, viele davon
angetrunken, manche in ihren Intimitäten schon so weit gediehen, dass
sie eigentlich ins Séparée gehört hätten.
Leo und Stankowiak drängten
sich zur umlagerten Theke durch, wo Leo sich energisch Platz schuf und der
Wirtin Denecke, die dem Kollegen Berns so gefallen hatte, den Ausweis
unter die Nase hielt. Sie verdrehte ein wenig die Augen. »Die Herren
waren doch schon hier.«
»Wir wollten Sie auch
einmal persönlich kennen lernen«, sagte Leo höflich.
»Dürften wir Sie um ein kurzes Gespräch bitten?«
»Da kann ich doch nicht
nein sagen.« Sie warf ihrem Barmann ein Handtuch zu und deutete auf
die frisch gespülten Gläser. »Bin gleich zurück.«
Sie führte die Männer
ins Hinterzimmer und schloss die Tür, was den Lärm ein wenig dämpfte.
»Ich habe Ihren Kollegen schon alles gesagt.«
»Ich möchte es
aber noch einmal von Ihnen persönlich hören. Wissen Sie wirklich
nichts über das Bordell, in dem Ihre Freundin früher gearbeitet
hat?«
»Was haben Sie nur
damit? Das war lange vorbei. Sie hat selten davon gesprochen, weil sie
nicht dran denken wollte, wie gut es ihr mal gegangen ist. Der Verschlag
war die Endstation, das wusste sie auch. Eine Hure von über fünfzig
taugt nichts mehr. Ich selbst hab’s rechtzeitig kapiert.« Sie
deutete mit dem Daumen über die Schulter auf ihr Lokal.
»Hätten Sie ihr
nicht helfen können?«
Wilma Denecke schüttelte
den Kopf. »Wollte sie nicht. Hat gesagt, sie gehört nicht
hinter die Theke. Was sollte ich machen? Hab ihr ab und an ausgeholfen,
aber sie war fertig. Hier.« Sie tippte sich an die Brust. »Kein
Mumm mehr drin.«
»Hat sich in letzter
Zeit irgendjemand bei Ihnen nach Erna erkundigt?«, fragte
Stankowiak.
»Nein, das hätte
ich doch längst gesagt.« Sie überlegte. »Den Willy könnten
Sie fragen. Der Junge macht manchmal Besorgungen für mich. Wenn
jemand wusste, dass sie hier verkehrte, hat er vielleicht den Willy
gefragt. Ich ruf ihn mal eben.«
Sie verließ kurz den
Raum und kam mit einem etwa sechzehnjährigen Jungen wieder, der vor
allem durch seine großen Ohren auffiel, die sich beim Anblick der
Polizisten blutrot färbten. »Wat soll ick denn . . .?«
Sie schob ihn ins Zimmer.
»Die Herren von der Polizei wollen wissen, ob mal jemand nach der
Erna Klante gefragt hat.«
Der Junge sah sich nach allen
Seiten um, schien nach einem Fluchtweg zu suchen. Geschickt trat Leo die Tür
zu und lehnte sich dagegen. »So, mein Freund. Mir scheint, du hast
uns was zu sagen. Zigarette?«
Willy nickte.
»Stankowiak, geben Sie
dem Jungen bitte eine Zigarette.«
Stankowiak hielt Willy die
Schachtel hin und gab ihm Feuer.
»Setz dich«,
sagte Leo freundlich und deutete auf den einzigen Stuhl im Raum. »Wir
beißen nicht. Du hast die Frage gehört. Also bitte.«
»Na ja, da war mal
eener. So vor zwei, drei Wochen. Hat mir draußen vor der Tür
anjesprochen und jefragt, ob ick die Erna kenne. Ick hab ihm erzählt,
dat se manchmal herkommt. Er hat jesacht, er hätt se lang nich mehr
jesehn und wie se jetzt so aussieht. Also hab ick jesacht, dat se nich
mehr so janz frisch is.« Er lief erneut rot an.
»Egal, erzähl
ruhig weiter.«
»Det war schon alles.
Er hat mir ’ne Mark in die Hand jedrückt und is jejangen.«
»Wie hat der Mann
ausgesehen?«, fragte Leo.
Der Junge zuckte die Achseln
in der abgetragenen Jacke. »Weeß ick nich.«
»Wie? Er hat doch
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