Léon und Louise: Roman (German Edition)
zu jedem Opfer bereit.
»Und?«, fragte sie.
»Nichts«, hatte er geantwortet und ihr den Koffer abgenommen. »Ich bin ein Idiot, verzeih mir.«
»Was?«
»Ich bin an den Strand von Le Tréport gefahren. Wie damals, verstehst du. Es war nur eine Idee. Lass uns bitte hineingehen.«
Und nachdem er ihr alles erzählt hatte, hatte sie sich mit dem Taschentuch die Augen abgewischt und gesagt: »Übermorgen um siebzehn Uhr im Café de Flore ?«
»Ja, aber …«
»Nichts aber. Du wirst da hingehen, Léon, hörst du mich? Nur um sicherzugehen. Du musst es tun, ich will es so.«
Es war schon zehn Minuten nach fünf, als er Louises Anwesenheit spürte. Er konnte sie nicht sehen und nicht hören, nur fühlen wie einen Luftzug, der durch die Straße zog, oder wie einen Lichtschein, der auf die Häuser fällt, wenn die Wolken sich verziehen. Léon sah sich suchend um und musterte die Gäste im Café, ließ den Blick über die Fenster der gegenüberliegenden Fassade schweifen und behielt gleichzeitig die Passanten auf den Trottoirs im Auge.
Da fiel ihm ein hübscher, ein wenig verbeulter Wagen auf, der mit laufendem Motor auf der anderen Seite des Boulevards auf der Place du Québec stand. Es war ein lindgrüner Peugeot Torpedo 172, leicht zu erkennen am spitz zulaufenden Heck, dem er seinen Namen verdankte. Léon hatte sich vor ein paar Jahren in den eleganten und schnellen Zweisitzer vergafft, als er in den Straßen von Paris Mode geworden war, und eine Weile hatte er heimlich Berechnungen darüber angestellt, wie viele Monate er ein Viertel, ein Drittel oder ein Fünftel seines Lohnes würde beiseitelegen müssen, um die Anzahlung leisten zu können.
Da er aber ein vernünftiger Mensch war, hatte er nie die Tatsache aus den Augen verloren, dass es für ihn als Familienvater keinen vertretbaren Grund gab, ein Viertel, ein Drittel oder ein Fünftel seines Lohnes für einen Zweisitzer auszugeben. Seine Frau hatte sich zuweilen lustig gemacht über die sehnsüchtigen Blicke, mit denen er den vorüberziehenden Torpedos folgte, und er hatte dann stets behauptet, sein Blick habe gar nicht dem Auto, sondern einer schönen Frau auf der anderen Straßenseite gegolten.
Léon hatte den Torpedo nicht ankommen sehen, also musste er schon eine Weile dort stehen. Das Verdeck war geschlossen, der Auspuff rauchte, hinter der spiegelnden Windschutzscheibe zeichnete sich dunkel ein Schemen ab. Die kleinen runden Scheinwerfer über den ramponierten Kotflügeln schienen ihm zuzuzwinkern, das schwarze runde Loch des verbeulten Kühlergrills ihm etwas zuzurufen, und das ganze Wägelchen schien zu beben in der ungeduldigen Erwartung, dass Léon endlich aufstehen, die Straße überqueren und bei ihm einsteigen möge.
Zögernd erhob er sich, legte mit der einen Hand Geld auf den Tisch und hob die andere versuchsweise zum Gruß – da sprang die verbeulte Beifahrertür auf, und auf der Fahrerseite winkte ihn ein Frauenarm herbei.
Léon stand erst mit einem Fuß im Wagen und mit dem anderen noch auf dem Trittbrett, als der Torpedo anfuhr und sich elegant in den Verkehrsstrom des Boulevard Saint-Germain einfügte. Während er sich auf die Sitzbank fallen ließ, öffnete er den Mund, um Louise zu grüßen, brachte dann aber keinen Ton über die Lippen, weil ihm ein schlichtes, alltägliches »Bonjour« oder »Salut« in dieser außergewöhnlichen Situation zu banal erschien.
Also war es Louise, die das Wort ergriff. »Wir werden jetzt keine Küsschen austauschen«, sagte sie. »Wir werden einander nicht um den Hals fallen, einverstanden? Wir werden keine tränennassen Gesichtchen bekommen und sie einander nicht gegenseitig abtrocknen, und wir werden keine Herzen in tausendjährige Linden schnitzen und uns nicht ewige Liebe schwören.«
»Wie du willst«, sagte Léon.
Louise trug einen Lederhelm und eine Autobrille mit grünen Gläsern. Sie gab kräftig Zwischengas, schaltete energisch vom zweiten in den dritten Gang und bog scharf rechts ab in die Rue Bonaparte.
Während der Torpedo übers regennasse Kopfsteinpflaster schlitterte, verkeilte Léon sich mit Armen und Beinen zwischen Armaturenbrett und Beifahrertür. Zu seinen Füßen lag ein blau emaillierter, leicht rußgeschwärzter Topf. Louise bediente den Wagen mit präzisen, raschen Handgriffen, ihr Gesicht leuchtete.
»Hör auf zu glotzen. Schau lieber auf die Straße.«
»Ich glotze nicht, ich schaue nur. Einen schicken Wagen hast du.«
»Vier Zylinder, macht problemlos sechzig
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