Léon und Louise: Roman (German Edition)
Laborfenster vorbeigeschwebt war, dann erzählte Louise, dass ihr Torpedo auf dem Rückweg von Le Tréport stehen geblieben war und erst wieder in Fahrt kam, nachdem sie den Luftfilter mit einem Schluck Benzin aus dem Reservekanister vom Staub der Landstraßen befreit hatte. Darauf erörterten sie die Vor- und Nachteile geteerter und gepflasterter Straßen, und dann kam Louise darauf zu sprechen, dass ihr Arbeitsweg an der frisch gepflasterten Place de Clichy vorbeiführe, an der übrigens die Prostituierten seit dem Krieg fast alle Trauerkleidung trügen; von Léon wollte sie wissen, ob das seiner Meinung nach tatsächlich alles Witwen von Kriegsgefallenen seien. Vermutlich schon, antwortete Léon ein wenig verwundert, worauf Louise entgegnete, sie hoffe es; denn wenn die einzig mögliche andere Erklärung wahr wäre – nämlich die, dass die Witwenhaube den Nutten als umsatzfördernde Kostümierung diene, weil heimgekehrte Soldaten Vergnügen fänden an der Vorstellung, die Frau eines gefallenen Kameraden zu ficken – wenn das wahr wäre, möchte sie zeitlebens nie wieder Umgang mit einem Mann haben. Das könne er nicht beurteilen, sagte Léon, weil er weder die Nutten an der Place de Clichy kenne noch das Seelenleben heimgekehrter Soldaten in statistisch relevanter Zahl; ganz sicher wisse er lediglich, dass er selbst unter keinen Umständen Vergnügen daran finden würde.
»Das weiß ich«, sagte Louise und erzählte rasch, wie sie einmal bei Eisregen auf der Place de l’Étoile ins Schleudern geraten war und beinahe unter dem Triumphbogen das Grab des Unbekannten Soldaten überfahren hätte.
Kurz nach Mitternacht war der Torpedo wieder auf der Straße. Louise fuhr nun langsam, und Léon streichelte ihren Nacken und schaute hinaus auf die zwei gelben Lichtkegel auf der Landstraße. Sie redeten nicht mehr, sondern schwiegen lange Zeit. Dann räusperte sich Louise und sagte mit plötzlich harter Stimme:
»Hör zu, Léon, in einer Stunde sind wir wieder in Paris. Du musst mir etwas versprechen.«
»Was denn?«
»Ich will nicht, dass du mir auflauerst.«
»Was?«
»Du verstehst mich schon. Wir werden uns nicht wiedersehen, es hätte keinen Sinn und würde nirgends hinführen. Du weißt nicht, wo ich wohne, und ich werde es dir nicht sagen. Aber du weißt, wo ich arbeite.«
»Und?«
»Spiel nicht den Deppen, das steht dir nicht. Ich will nicht, dass du vor der Banque de France herumlümmelst, um mich zu sehen. Du lungerst nicht auf der Rue de Rivoli und nicht auf der Place de la Victoire herum. Du hetzt mir keinen Polizeihund auf die Fersen, du wirst mir nicht zufällig auf dem Gemüsemarkt über den Weg laufen, während ich ein Pfund Kartoffeln kaufe, und du sitzt nicht zufällig im Kino, wenn ich ins Kino gehe. Das wirst du niemals tun, versprichst du mir das?«
»Es gibt Zufälle«, sagte Léon. »Paris ist nicht so groß, wie die Leute glauben, weißt du? Es kann immer geschehen, dass man sich über den Weg läuft. In der Métro, auf der Straße, beim Metzger …«
»Erzähl keinen Quatsch«, sagte sie scharf. »Dafür haben wir keine Zeit. Du musst mir versprechen, dass du keine Dummheiten machst. Nie, kein einziges Mal. Sollte es einmal geschehen, dass wir uns zufällig über den Weg laufen, werden wir uns meinetwegen im Vorbeigehen grüßen, aber nicht stehen bleiben. Ich meinerseits verspreche dir, dass ich niemals die Rue des Écoles betreten werde und niemals den Quai des Orfèvres. Den Boulevard Saint-Michel kann ich dir nicht gänzlich überlassen, da muss ich hin und wieder durch.«
»Ich auch. Täglich zwei Mal. Mindestens.«
»Sei ein Mann, Léon. Versprich es mir.« Sie löste ihre rechte Hand vom Steuerrad und hielt sie ihm hin. »Versprichst du’s?«
Léon wandte seinen Blick Louise zu und lächelte, wie um zu sagen: Versteh mich doch! Dann nahm er ihre Hand, schaute aus dem Seitenfenster und sagte: »Nein.«
Ein paar Sekunden noch fuhr Louise schweigend geradeaus durch die Nacht, dann bremste sie ab und schaltete in den Leerlauf, und als der Wagen stillstand, zog sie die Handbremse, stieg aus und lief um die Motorhaube zur Beifahrertür.
»Rutsch rüber, jetzt fährst du!«
»Louise, ich bin noch nie …«
»Los, mach!«
»Ich kann nicht Auto fahren.«
»Dann lernst du’s jetzt, rutsch rüber! Ab sofort lenkst du den Wagen, sonst quatschen wir endlos rum und fangen womöglich an zu flennen. Das hier ist das Gaspedal, und das ist die Bremse, um die Gangschaltung kümmere
Weitere Kostenlose Bücher