Leonardo und der Fluch des schwarzen Todes (Da Vincis Fälle) (German Edition)
einem Arzt dafür geben müsste“, höhnte der Schlachter Alessio daraufhin. „Außerdem wird doch niemand bereit sein, ihn zu untersuchen und dabei zu riskieren, dass die Krankheit auf ihn überspringt!“
Ein chaotisches Stimmengewirr erhob sich. Alle redeten durcheinander. Die einen wollten, dass der Junge Alberto sofort aus dem Dorf verbannt wurde. Ser Piero gab zu bedenken, dass Alberto dann doch ins nächste Dorf laufe und die Krankheit weiter trage, bis er schließlich tot zusammenbreche. „Hat nicht jeder von euch Verwandte in den Nachbarborten, denen er es ersparen möchte, dass die Pest auch dorthin kommt?“
„Das können wir sowieso nicht verhindern“, meinte der Schlachter Alessio. „Die Erde scheint überall den Atem des Bösen emporsteigen zu lassen, um die Menschen krank zu machen.“
Schließlich schritt der Pfarrer ein. „Wir müssen Barmherzigkeit walten lassen und das tun, was der Herr uns aufgegeben hat! Soll er sich doch in die alte Scheune auf der Westseite einquartieren. Die wird im Moment doch nicht gebraucht. Das Essen stellen wir ihm hin, sodass er es sich holen kann und sich niemand ansteckt.“
„Wollen Sie vielleicht für den Jungen kochen?“, fragte eine der Frauen.
„Also ich werde mich daran beteiligen“, erklärte Großvater.
„Und ich melde mich freiwillig, um das Essen zur Scheune zu bringen“, meinte Leonardo.
Der Pfarrer wandte sich an Alberto. „Es tut mir Leid, aber mehr werden wir wohl nicht für dich tun können. Der Rest liegt in Gottes Hand.“
So wurde Alberto in die baufällige und leer stehende Scheune einquartiert, die ungefähr zweihundert Schritte westlich des Dorfes Vinci einst vom Bauern Aldo errichtet worden war. Aber der war längst gestorben und hatte keinen Erben hinterlassen. Manchmal hatten sich schon einige Dorfbewohnern Bretter aus dem Gebäude heraus gebrochen, um sie als Brennholz zu verwenden, sodass in den Wänden einige nicht vorgesehene Öffnungen waren.
Dass Leonardo sich gemeldet hatte, um dem Kranken das Essen zu bringen, fanden weder sein Großvater noch sein Vater besonders gut.
„So etwas kann doch auch der Pfarrer tun“, meinte Ser Piero. „Da musst du dich doch nun wirklich nicht vordrängen!“
„Wollt ihr es mir verbieten? Aber irgendjemand muss es doch tun und sollten wir nicht alle uns um diejenigen kümmern, denen es schlecht geht? Sagt das nicht der Pfarrer jeden Sonntag in der Kirche?“
„Ja, das schon“, gab Ser Piero zu.
„Eben – und das heißt doch wohl nicht, dass sich nur der Pfarrer daran halten soll. Außerdem möchte ich unbedingt…“
„Du schaust dir jedenfalls nicht seine Geschwüre aus der Nähe an oder probierst irgendeine deiner selbst angerührten Tinkturen daran aus!“, unterbrach ihn jetzt Großvater sehr energisch. „Das ist nämlich hoch gefährlich. Dieser Junge hat die Pest und wahrscheinlich wird es jetzt bald noch mehr Fälle hier in Vinci geben… Leonardo, im Gegensatz zu dir habe ich schon ein paar Pestausbrüche erlebt. Wenn es die Lungenpest mit blutigem Husten ist, lebt Alberto keine drei Tage mehr. Aber ich glaube nicht, dass das der Fall ist.“
„Und wieso nicht?“, fragte Leonardo.
„Weil er sich dann gar nicht mehr bis ins Dorf hätte schleppen können“, sagte Großvater. „Ich nehme an, dass er die einfache Beu-lenpest hat. Zwei bis drei Wochen leben die meisten noch, wenn die Zeichen der Krankheit sichtbar werden…“
„Aber es gibt ein paar, die wieder gesund werden!“, wandte Leonardo ein.
„Ja, aber nur sehr wenige und du kannst nicht damit rechnen, dass du dazugehörst! Also bleib ja weit genug von Alberto entfernt und versuche nicht den Arzt zu spielen! Das bist du nicht und davon ver-stehst du auch nicht genug! Es geht hier nicht darum, eine tote Krähe zu untersuchen oder solche Spielereien - sondern darum, dass du das ganze Dorf gefährden könntest, wenn du leichtsinnig bist!“
„Das werde ich bestimmt nicht sein“, versprach Leonardo.
Weder Carlo noch Gianna hatten Lust, Leonardo dabei zu beglei-ten, wenn er Alberto das Essen brachte. Sie hatten einfach zu große Angst. Und Gianna meinte sogar, dass es wohl besser sei, wenn sie sich in nächster Zeit nicht träfen. „Mir ist das einfach zu unheimlich.
Mein Vater sagt, du könntest die Krankheit schon in dir haben, ohne, dass du es weißt!“
„Ihr seid doch furchtbare Angsthasen“, erwiderte Leonardo. „Kein Wunder, dass es so wenig gute Ärzte gibt und die wenigen, die
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