Leopardenblut (German Edition)
der gerade seine Frau bedrohte. Die Krallen fuhren aus und sie spürte, wie ihre Fingerspitzen kribbelten.
„Mediale müssen ihre Gefühle unterdrücken, um zu überleben, aber die Gestaltwandler zerbrechen selbst unter Druck nicht. Meiner Meinung nach sind sie dadurch die stärkere Gattung.“ Er schwieg und sie erstarrte in der Bewegung. „Bist du bald so weit?“
„Ja, Sir.“ Sie ließ ein wenig Angst in ihrer Stimme mitschwingen, damit er das Gefühl wahrnehmen konnte.
Sein Bewusstsein schimmerte blau wie arktisches Eis. Es war wunderschön und bedrohlich. „Sascha, Sascha“, flüsterte er. „Du bist wirklich außergewöhnlich.“
Sie antwortete nicht, sondern konzentrierte sich mit jeder Nervenfaser darauf, wieder in ihren Kopf hineinzugelangen. In einem Augenblick war sie überzeugt davon, dass er der Mörder war, und im nächsten war sie wieder verwirrt. Wie konnte er es sein? Warum? Die Frauen waren buchstäblich zerfleischt und ihr Verstand ausgelöscht worden. Enrique spürte keinerlei negative Gefühle. Keinen Zorn. Keinen Ärger. Keinen Hass.
War er nur hinter ihr her, weil sie einen Defekt hatte? Hatte er den wirklichen Mörder vertrieben, der seine grausamen Spuren im Medialnet hinterlassen hatte? Vor Enttäuschung zogen sich ihre Eingeweide zusammen. Sie durfte nicht versagen. Sie durfte nicht zulassen, dass das Bedürfnis nach Rache die DarkRiver-Leoparden und die SnowDancer-Wölfe in einen Krieg trieb. Sie gehörte zu ihnen.
„Du bist sogar noch vollkommener als die Gestaltwandlerfrauen.“
„Wer waren diese Frauen?“, fragte sie fast schon an der Tür. „Ich würde mich selbst gerne mit ihnen unterhalten. Diese Leoparden geben nichts preis.“
„Leider waren die Versuche etwas strapaziös. Sie mögen es nicht, wenn Mediale in ihr Gehirn eindringen. Ich musste sie zerstören, um tiefere Einsichten zu erhalten.“
Entsetzt hielt sie mitten in der Bewegung inne. „Sie haben sie getötet?“
Lucas strich in ihrem Kopf herum und wollte Enrique an die Kehle springen.
„Versuchstiere sterben oft.“
Wenn sie sich in ihrem Körper befunden hätte, hätte sie sich auf der Stelle übergeben. Es war völlig klar, dass Enrique ihr nur zu gern alles erzählte – sie war sein einziges Publikum und sie saß in der Falle. Wie ein riesengroßer Krebs schloss er seine Zangen um sie.
„Irgendetwas drückt gegen meinen Verstand.“ Sie konnte es spüren, aber es war nicht gefährlich. Noch nicht.
„Meine Geduld ist zu Ende. Entweder redest du jetzt mit mir oder ich werde dich töten. Ich kann dir versichern, dass der Rat diesen Umgang mit einer fehlerhaften Medialen decken wird.“
Das Wort „fehlerhaft“ brachte sie wieder in Bewegung. Sie war nicht fehlerhaft und die Gestaltwandler waren keine Versuchstiere. Sie waren die schönsten, lebendigsten, leidenschaftlichsten Lebewesen, denen sie je begegnet war. Aber sie musste sich noch vergewissern, ob Enrique tatsächlich der grausame Mörder war. „Warum siebenundneunzig Schnitte?“, fragte sie leise.
„1997, Sascha, das Jahr 1997. Damit feiere ich ein wenig den Zeitpunkt, der für mich die wirkliche Geburt unserer Rasse markiert.“ Er schwieg. „Woher wusstest du davon?“ Der Druck ließ kurz nach.
Sascha nutzte diesen Augenblick, um durch die verborgene Tür zu schlüpfen und sie hinter sich zu verriegeln. Sekunden später schlug etwas dagegen. Enrique versuchte, in ihren Kopf zu gelangen, sie zu zerstören. Risse zeigten sich in den bereits bröckelnden Schutzschilden.
„Sehr schlau, Sascha“, sagte Enrique. „Wie lange hast du dich schon dort versteckt?“
Sie antwortete nicht und versuchte die Tür so weit zu sichern, dass sie sich hinter die zweite Ebene ihrer Abwehr zurückziehen konnte. Selbst jetzt, wo sie ihm so nah war, spürte sie nichts von dem abgrundtiefen Zorn, den sie bei einem Mörder vermutete. Enrique fühlte nichts und trotzdem hatte er gemordet.
Ihr seid eine Rasse von Psychopathen!
Dorians anklagende Worte stiegen aus einem vergessenen Winkel ihres Gedächtnisses auf.
Kein Gewissen, kein Herz und keine Gefühle! Wie definiert man sonst Psychopathen?
Der wahre Schrecken von Silentium traf sie so hart, dass ihre innersten Schilde wankten. Aber sie hatte nicht die Zeit, um darüber nachzudenken. Enrique würde gleich durchbrechen. Sie errichtete eine provisorische Sperre an der Tür und hatte gerade die zweite Ebene erreicht, als ihre äußeren Schilde brachen.
Er war in ihrem Verstand.
Machtvoll
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