Leopardenblut (German Edition)
Leidenschaft.
Ihre Rasse hatte versucht, Ärger, Wut und Hass auszulöschen, aber sie hatten nicht erkannt, dass Zorn auch aus tiefer Liebe entspringen konnte, aus dem Bedürfnis, jemanden zu beschützen. Lucas war wütend, weil sie sich selbst in Gefahr brachte, und der Gedanke, dass sie verletzt werden könnte, machte ihn rasend. Diese Gefühle waren nicht böse. Sie waren so rein, dass sie hell aufloderten.
Ganz anders als die Gefühle, die sich nun langsam näherten. Diese Grausamkeit hatte die Schläue von Schakalen oder Geiern. Die meisten Medialen hätten nicht gewusst, warum sie sich in Gegenwart dieses nach außen hin normalen Bewusstseins unwohl fühlten, denn viele von ihnen hatten nicht mehr die Fähigkeit, das Böse zu erkennen, selbst wenn es genau vor ihnen stand. Daher konnte sich der Mörder so perfekt tarnen.
Die energetische Witterung einer durch und durch verkommenen Boshaftigkeit blieb plötzlich in der Luft stehen und verschwand dann vollständig. Sascha sah sich unwillig um. Hatte irgendjemand den Mörder verjagt? Kurz darauf spürte sie die Gegenwart eines ihr bekannten Bewusstseins und hätte beinahe geflucht. Enriques kardinaler Glanz leuchtete etwa einen Kilometer entfernt auf. Kein Wunder, dass der Mörder geflohen war.
Sie hätte vor Enttäuschung schreien mögen. Tief in ihr fuhr etwas die Krallen aus und es fühlte sich gut an. Sie hätte sie gerne in Enriques störende Arroganz geschlagen, die Brenna vielleicht das Leben kosten würde.
Er trat nicht mit ihr in Kontakt, als er sie erreicht hatte, denn für ihn war sie ja nicht im Medialnet. Stattdessen untersuchte er sehr sorgfältig den Riss. Sascha fragte sich, ob er überhaupt wusste, wonach er suchte.
Sie hätte ihn für den Mörder gehalten, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er absolut keine Gefühle besaß – gar keine. Selbst unter den Medialen war sie niemand anderem mit einer solchen Kälte begegnet. Keine ihrer empathischen Fähigkeiten konnte ihn je erreichen. Sie erkannte, dass er wahrscheinlich aus diesem Grund immer wieder ihren wunden Punkt getroffen hatte.
Ihre Mutter war zwar kalt, aber Sascha hatte stets auf niedrigem Niveau ein emotionales Feedback von ihr erhalten, genauso wie von den meisten anderen Medialen. Ihre Rasse hatte dennoch Gefühle, auch wenn alle versucht hatten, diese so gründlich wie möglich zuzuschütten. Doch bei Enrique deutete nichts darauf hin, dass er die geringste Fähigkeit besaß, etwas zu empfinden.
„Sascha.“ Das war eine freundliche telepathische Anfrage.
Sie setzte eine Maske auf. „Sir.“
„Dein Schild hat einen Riss.“
„Vielen Dank, Sir. Ich bin schon dabei, ihn zu reparieren. Es ist nichts Gravierendes.“ Warum hatte sich der Rat die Mühe gemacht, ihr das mitzuteilen? Bei ihrer Mutter war das verständlich. Nikita hatte schließlich ein berechtigtes Interesse daran, dass Saschas Geheimnis nicht aufflog, denn das konnte ihre eigene Position untergraben.
Warum hatte Nikita sie dann überhaupt am Leben gelassen? Wäre es nicht einfacher gewesen, sie auszulöschen, als sich ihr Defekt offenbarte? Oder konnten selbst die Medialen ihre Kinder nicht töten? Dann dachte Sascha an Toby und Marlee und ihre aufkeimenden Hoffnungen zerschlugen sich erneut.
„Du hast einige ganz ungewöhnliche Denkstrukturen.“
25
„Ich verfüge über einige ungewöhnliche Fähigkeiten, Sir.“ Damit verriet sie nichts. Sie konnte viele verborgene Talente haben, zum Beispiel eine gewisse Voraussicht, die sie Konkurrenten verheimlichen wollte.
„Ich wusste immer schon, dass du eine außergewöhnliche Frau bist, aber ich hätte nie vermutet, dass du dermaßen vollkommen bist.“
Sascha spürte, wie in der samtigen Dunkelheit des Medialnets kalte Schauer durch ihre Nervenbahnen liefen. Vollkommen. In welcher Weise war sie vollkommen? „Das ist ein großes Kompliment.“ Sie konnte sich nicht bewegen. Überall spürte sie Enriques Energie, er umkreiste sie wie ein jagender Leopard.
„Ich habe gedacht, du wärst wie ich“, sagte er und seine Freundlichkeit klang gespielt. „Aber du bist offensichtlich vollkommen anders.“
Wenn sie nicht sowieso schon vorgehabt hätte, sich vom Medialnet zu trennen, wäre sie in Panik ausgebrochen, als er anfing, sie einzukreisen. Es war eine Falle. Nikita hatte ihr das schon vor langer Zeit beigebracht. Manchmal zahlte es sich aus, eine Mutter zu haben, die sich mit Mord und mit Giften auskannte.
Enrique glaubte, sie würden telepathisch
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