Leopardenblut (German Edition)
Carlo gefesselt in einer Höhle. Als wir ihn fanden, hatte er so viele gebrochene Knochen und blutige Schnitte, dass wir ihn nur an den Jägermalen erkannten.“ Sie berührte ihr Gesicht, als striche sie über die Narben auf Lucas’ Wange. „Bei seinen Versuchen, die Fesseln loszuwerden, hatte er die Haut an seinen Handgelenken und Knöcheln bis auf die Knochen durchgescheuert.“
Sascha spürte, wie ein Schluchzen in ihr aufstieg. „Sie haben ihn gefoltert, um Carlo zu brechen?“
Tamsyn nickte. „Sie wollten alles aus Carlo herausholen, was er wusste: die sicheren Unterkünfte, unsere Wege, das Versteck des Alphapärchens und das Verteidigungsnetz.“
„Wie hat Lucas das überlebt?“
„Ich weiß es nicht.“ Es schien Tamsyn völlig zu verwirren. „Bei seinem Vater haben sie sich zurückgehalten, denn er war ja wichtig, aber bei Luca s … “ Sie schüttelte den Kopf. „Es war, als hätte er sich einfach geweigert zu sterben. Einige meinten, als geborener Jäger hätte er schon damals über uns unbekannte Kräfte verfügt. Ich glaube, der Gedanke an Rache hat ihn am Leben erhalten.“
„Die ShadowWalker-Leoparden sind entkommen?“
Tamsyn nickte. „Wir waren stark genug, sie zu vertreiben, aber wenn wir sie verfolgt und gestellt hätten, wären unsere Jungen schutzlos zurückgeblieben. Fünf Jahre lang haben wir in einer Art Kriegszustand gelebt, keiner durfte sich von der Gruppe entfernen, damit wir ihnen kein Ziel boten.“
Sie sah Sascha in die Augen. „Als Lucas gerade achtzehn war – das heißt, nach unseren Maßstäben immer noch ein Jugendlicher –, ist er eines Nachts mit ein paar Wächtern und einigen anderen losgezogen. Die Loyalität der Wächter hatte er dadurch errungen, dass er die Folter ungebrochen überstanden hatte.“
Sascha konnte sich kaum vorstellen, welch ungeheuren Willen Lucas dafür aufgebracht haben musste. Aber er hatte es geschafft.
„Sie haben Jagd auf alle erwachsenen ShadowWalker-Leoparden gemacht.“ Schrecklicher, blutiger Zorn lag nun in Tamsyns Stimme. „Als sie fertig waren, gab es keine ShadowWalker mehr und keiner hat je wieder gewagt, das DarkRiver-Rudel anzugreifen.“
Sascha stieß diese Grausamkeit nicht ab. Sie gefiel ihr besser als die Heuchelei der Medialen, die Mörder frei herumlaufen ließen und gleichzeitig ihr friedliches Image priesen. Wenigstens waren die Gestaltwandler ehrlich. Wenigstens liebten sie genug, um nach Rache zu dürsten. Die Medialen dürsteten nur nach Macht.
„Fünf Jahre später“, sagte Tamsyn und riss Sascha damit aus ihren trostlosen Gedanken, „gab unser Alphatier Lachlan die Führung an Lucas ab. Ohne zu zögern leisteten die Wächter ihren Blutschwur.“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „ Er war damals erst dreiundzwanzig. Die meisten Leoparden sind in dem Alter kaum erwachsen, aber Lucas war schon härter als alle anderen.“
„Er ist durchs Feuer gegangen.“ Sascha dachte an das Leid, das Lucas geprägt hatte, und trauerte um seine verlorene Jugend. Wie musste es gewesen sein, im Schatten der toten Eltern aufzuwachsen?
„Verstehst du jetzt?“ Tamsyn sah Sascha an.
„Ja.“ Sascha konnte noch nicht offen weinen, aber ihre Seele vergoss bittere Tränen.
Die Heilerin gab sich damit nicht zufrieden. „Die ShadowWalker-Leoparden haben ihn festgebunden. Erst musste er zusehen, wie sein Vater gefoltert wurde, und dann haben sie sich ihn vorgenommen. Was sie getan habe n … Du kannst nicht von ihm verlangen, dein Anker zu sein.“
Verlang nicht von ihm, dass er hilflos danebensteht und dir beim Sterben zusieht.
„Er wird es freiwillig tun wollen.“ Sascha wusste, wie Lucas war und wie er sein Rudel führte.
„Dann halt ihn davon ab. Sag ihm, er kann es nicht tun. Ich werde seinen Platz einnehmen.“ Tamsyns Augen wurden dunkel vor Schmerz.
Sascha nickte, aber sie wussten beide, dass es fast unmöglich war, Lucas von seinem einmal gewählten Weg abzubringen.
Trotz ihrer geistigen Erschöpfung lag Sascha noch wach im Bett, als sie plötzlich Lucas’ Nähe spürte. Kurz darauf trat er durch die Schlafzimmertür und bewegte sich durch den Raum, als sei dieser sein Territorium.
Wenn sie ihm seinen Willen ließe, würde ihn das in seinem autoritären Gehabe nur bestärken, so viel war klar, aber ihre Chancen, den drohenden geistigen Zusammenbruch zu überleben, waren fast gleich null. Sie würde in dieser Falle entweder selbst umkommen oder die Söldner des Rats würden sie stellen, nachdem sie
Weitere Kostenlose Bücher