Ler-Trilogie 02 - Die Zan-Spieler
entging. Morlenden betrachtete den bestürzenden Ausdruck in ihren Augen noch genauer. Er sah Bewegung in dem eckig eingefaßten Gesicht. Sie schien nicht direkt zu schauen, sondern ihre Umgebung in regelmäßigen Abständen zu mustern, wozu sie die peripherische Vision einsetzte. Dies verlieh ihrem Ausdruck eine zweifache Qualität, die glasig und doch auch zutiefst lebendig war.
Morlenden hatte seine Gabel völlig vergessen. Das Mädchen beobachtete, daß Morlenden sie bemerkt hatte. In einem flachen Ton mit einem Hauch von Nasalität sagte sie: „Amüsierst du dich?“
Morlenden fand die Frage flegelhaft. Er erinnerte sich wieder an die Gabel, nahm gedankenvoll einen Mundvoll von dem Dner und antwortete ebenso flegelhaft: „Eigentlich nicht.“
„Wie nennt man dich?“
„Ich habe zu meiner Zeit auf Kosenamen und Verwünschungen, auf die Pfiffe von Unbekannten und auf heiseres Flüstern gehört. Ich war bekannt als einer, der auf ein ‚He, du’ reagiert, obwohl ich die Praxis bedauerlich finde. Man nennt mich Morlenden Tlanh Deren.“
„Ich bin Sanjirmil Srith Terklaren. Auch ich höre noch auf andere Namen.“
Morlenden dachte, als er die Form ihres Namens hörte: Aha! Also doch eine Heranreifende, wenn sie auch noch so dreckig und abgerissen aussieht.
„Was machst du hier in Lamkleth?“ fügte sie hinzu.
„Bin auf der Heimreise“, sagte er und versuchte sie zu ignorieren, in der Hoffnung, daß sie begreifen und verschwinden würde. Ein Gör …
„Kann ich etwas von dem Bel-lamosi haben?“
„Bist du denn schon alt genug für Alkohol?“ fragte er aggressiv.
„Vierzehn weniger eins und didhosi? Selbstverständlich! Für andere didhosi -Sachen übrigens auch.“
„Das kann ich mir vorstellen … also gut, hier. Nimm von dem Wein.“ Er bot ihr den Krug dar, den sie trotz all ihrer vorhergegangenen Streitlustigkeit auf scheue Art annahm und hochhielt, um lange zu trinken. Er betrachtete das Mädchen genau – Sanjirmil. Auf den zweiten Blick wirkte sie vielleicht nicht ganz so kindlich, wie er zuerst gedacht hatte. Ihre Figur unter dem schlechtsitzenden Überhemd, das sie trug, war schon voll ausgereift; nein, überhaupt nicht kindlich. Sie hatte einen dunklen Teint, eine olivfarbene Haut und kräftiges, schwarzes, zerzaustes Haar, das unbekümmert über ein flächiges, knochiges Gesicht fiel, ein Gesicht, das hart und entschieden sein konnte, und doch auch ein Gesicht, das eine gewisse Schönheit hatte. Die merkwürdigen Augen waren von unbestimmter Farbe, dunkel und grübelnd, und ihre Nase war zart und fein. Der Mund war dünnlippig und bestimmt, das Kinn fest, aber gleichzeitig hatten ihre Lippen etwas verführerisch Schmollendes. In der schlechten Beleuchtung des Zeltes wirkte ihre Haut dunkel genug, um kaum einen Kontrast zwischen Lippen und Gesicht entstehen zu lassen; ihr Gesicht bekam dadurch eine eigentümliche Ausdruckskraft. Man mußte auf die Schatten achten. Diese Sanjirmil konnte sehr gut ganz einfach das ungewaschene und minderjährige Gör sein, das sie zu sein schien. Aber da war noch etwas, eine unbekannte Größe.
Als sie den Krug wieder auf den Tisch stellte, fragte er: „Hast du schon gegessen?“
„Nein.“
„Die Küche ist schon geschlossen.“
„Ich weiß.“
„Meine Portion ist mir viel zu groß. Sie haben für die Nacht aufgeräumt. Du kannst davon haben, was du willst. Und was macht wohl einer, der ohne Geld auf Abenteuer aus ist – um ein Essen betteln? Oder singst du auch?“
Sanjirmil nahm das angebotene Essen zögernd an, aber sie konnte ihren Hunger nicht verbergen und aß in raschen, katzenartigen Bissen. Zwischendurch sagte sie stockend: „Kein Singen, kein Tanzen. Hatte etwas Geld, aber es war nicht genug. Wollte morgen nach Hause … vielleicht heute abend, wenn mir danach gewesen wäre. Kennst du die Terklarens?“
„Die Zweiten-Spieler? Natürlich kenne ich sie. Aber ich habe noch nie einen persönlich kennengelernt.“
„Nordwesten. Anderthalb Tage.“
„Ein weiter Weg. Du bist ziemlich jung dafür, daß du so weit in den Wald hineingegangen bist.“
„Nein, wir nicht. Wir sind abenteuerlustig … außerdem haben wir keinen vayyon, im Gegensatz zu euch.“
„Woher wußtest du, was mit mir los ist?“
„Habe dich beobachtet. Mavayyonamoni, die sind alle gleich, suchen nach etwas und finden es nicht. Ich habe geraten; und ich habe recht behalten. Ich komme oft hierher, in diesem Jahr jedenfalls.“
„Hast du viele Leute
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