Lesebuch für Katzenfreunde
unser selbsternannter Aufpasser schnüffelte mich heraus, wofür ihn die übrige Familie noch extra lobte, während ich mir anhören mußte, daß ich mit zunehmendem Alter immer instinktloser würde.
»Morgen um diese Zeit sind wir in der Luft«, kündigte der Sippenchef an. »Die Nacht darauf schlafen wir schon in Atlanta. Du kehrst in deine alte Heimat zurück, Taschentiger!«
»Ich dachte, Atlanta liegt in Georgia«, meinte Oma.
»Das darf man nicht so eng sehen«, klärte sie der Boß auf. »Mit dem Flugzeug bist du in einer Stunde in Florida, und mit dem Auto dauert’s auch nicht länger als einen halben Tag.«
»Wenn Nobbi in Florida geblieben wäre, hätten wir wieder hinziehen können«, sagte Edith bedauernd.
»Wenn er Veterinär werden wollte, hätte er ja auch nach Gainesville gehen können«, antwortete Daddy. »Aber du weißt ja selbst, daß ihn Menschen mehr interessieren als Tiere – trotz Mau. Fürs Medizinstudium ist Emory in Atlanta die bessere Uni. Übrigens hätten wir ja nicht hingemußt, aber du glaubst ja, daß er ohne uns nicht zurechtkommt.«
»Er ist doch noch so klein und braucht unsere Hilfe – wenigstens für die erste Zeit«, sagte Edith.
»Dein Sohn ist alt genug, um in der Anatomie Gebeine auseinanderzunehmen; da wird er sicher auch in der Lage sein, sich selbst Suppe zu kochen und seine Wäsche zu waschen«, behauptete Putzi.
»Ich freue mich auf Florida und unseren Herrn Doktor«, verkündete Oma, die manchmal die Dinge ein bißchen durcheinander brachte.
Um die folgenden Ereignisse zu verstehen, muß man bedenken, daß wir Katzen für die Zeiteinteilung der Menschen wie für ihre Art von Planung über die allernächsten Schritte hinaus wenig Verständnis aufbringen. Uns deswegen jedes Verantwortungsgefühl abzusprechen, ist allerdings ungerecht. In Wahrheit bleiben wir nämlich nur natürlich und komplizieren nicht alles so wie diejenigen, die sich vor lauter Besserwisserei das Leben schwermachen.
Minze war ein ausgezeichneter Jäger, wenn’s um leichte Beute ging. Sie wußte genau, vor welchem Mäuseloch sich das Warten lohnte und setzte sich so davor, daß die Bewohner, wenn sie das Nest verließen, ihr ahnungslos zwischen die Pfoten liefen.
Ich bewunderte die Geduld meiner Nachbarin, mit der sie auf die kleinen Nager wartete, und ihr Geschick, sie immer wieder einzufangen, nachdem sie ihnen eine Chance gegeben hatte. Mir selbst machte diese Art von Unterhaltung keinen Spaß.
Wer sich von klein auf Gefahren zu stellen hat, die sich weitaus schwieriger berechnen lassen, ist an solchem Spielzeug nicht interessiert. Katzen mit wildem Blut jagen, wenn sie Hunger haben, und kämpfen, um ihren Platz zu behaupten. Als mich Kathrins Katze in der Nacht zum Ausflug auf ein Mäusefeld einlud, ging ich zwar mit, begnügte mich jedoch mit der Rolle des stillen Beobachters.
Daß die Kätzin dieses Mal mehr im Sinn hatte als die Jagd auf Mäuse, begriff ich erst später. Nach einer Weile war sie des einseitigen Spiels müde geworden und führte mich in Bauer Hurtigs Scheune. Auf kitzligem Heulager gab sie zu verstehen, daß sie es an der Zeit fand, unsere Freundschaft zu bekräftigen.
Wo die Gunst der späten Stunde sowie ein geeignetes Umfeld vor unliebsamen Störungen durch stöbernde Hunde oder verständnislose Zweibeiner schützen und Sympathie auf beiden Seiten besteht, sind die Voraussetzungen ideal für ein bißchen Zärtlichkeit. Auch wenn Putzi mir bei Minzes Verwandtschaft die Fähigkeit zur letzten Konsequenz gröblich verallgemeinernd abgesprochen hatte, schloß das noch lange nicht jedes Gefühl aus. Alle Kater schmusen schließlich gern. Meiner Partnerin schienen meine Anstrengungen jedenfalls zu gefallen, wie ich an ihren unermüdlichen Anfeuerungsrufen unschwer erkennen konnte.
Wer sich redlich bemüht, hat irgendwann auch eine Ruhepause verdient – am besten gleich an Ort und Stelle. Ich nutzte sie zu einem erholsamen Schlummer, der so tief gewesen sein muß, daß ich sogar Bauer Hurtigs Hahn überhörte. Als ich wieder zu mir kam, war heller Morgen und die Gespielin der Nacht verschwunden.
Gleich beim Heimkommen spürte ich, daß etwas nicht stimmte und das Unbehagen in der Luft mit meiner Person zusammenhing. Die Menschin fuhr gerade das Auto in die Garage. Der Boß trug die Koffer zurück ins Haus, in dem Baby krakeelte. Oma stand händeringend am Gartentor, rief »Was machen wir denn jetzt bloß?« und starrte mich an, als wäre ich ein Gespenst und
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