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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Yaron
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Gott zwar als Ortsgespräch, deswegen sollte ein religiöser Mensch, so meinte ich, trotzdem nicht so aufgebracht und lang auf offener Straße mit seinem Schöpfer diskutieren. Vielmehr sollte er dessen Gebote stillschweigend befolgen und seiner Umwelt akustisch weniger zur Last fallen.
    Erst als ich den scheinbar schizophrenen Bürgersteiggenossen schon fast passiert hatte, bot eine kleine Linksdrehung seines Kopfes eine ebenso banale wie für mich beschämende Antwort auf mein hochmütiges Selbstgespräch: Im rechten Ohr des vermeintlich im Mittelalter stecken gebliebenen Zeitgenossen steckte ein hochmoderner Bluetooth-Kopfhörer. Sein Gespräch behandelte keine abwegigen theologischen Belange, sondern den Stand der Börse.
    Handys sind in Israel schon mehr als eine Plage. Die vier großen Anbieter im Land haben mehr Kunden als das Land Einwohner zählt. Demnach hat Israel eine der höchsten Verbreitungsraten von Handys der Welt, von Inselstaaten ohne nennenswertes Festnetz wie Aruba oder den Antillen einmal abgesehen. Und obwohl hundertfünfundzwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung eines der unweigerlich in jedem Konzert bimmelnden Geräte besitzen, liegt die jährliche Wachstumsrate noch immer bei sieben Prozent. Der Trend weist deutlich in Richtung Dritthandy.
    Nun kann ich verstehen, dass die Israelis als Mittelmeeranrainer das Recht haben, äußerst mitteilungsfreudig und -bedürftig zu sein. Trotzdem bleibt mir unverständlich, warum ich mir mitten in einer romantischen Kinoknutschszene einen fünfminütigen Monolog über die Hämorrhoiden meines Sitznachbarn anhören muss, den er erst nach lautem Zuruf aus einer anderen Reihe und überzeugenden Morddrohungen meinerseits beendet. Eigentlich sollte den Israelis das Handy doch gegen den Strich gehen, da ja ein Arm beim Sprechen den Hörer ans Ohr halten muss und nicht erklärend und für dramatische Effekte durch die Luft zischen darf. Wahrscheinlich wurde allein deswegen der Bluetooth-Kopfhörer erfunden.
    Doch trotz meiner Aversion gegen die ständige Erreichbarkeit und das allgegenwärtige Gebimmel muss ich zugeben, dass das Handy den Israelis auch positive Veränderungen beschert hat. Es verbindet nicht nur ultraorthodoxe Juden mit der westlichen Börse, sondern auch den israelischen Macho-Mann mit seiner weiblichen Seite. Technologieverliebte israelische Männer treffen sich heutzutage in den Cafés, legen ihre Apparate auf die Tische und diskutieren erstmals darüber, wer von ihnen den Kleinsten hat.

Alltag in Jerusalem
Jerusalem ist für viele Menschen in der Welt mehr ein Symbol als eine Postanschrift
    Abu Tor hat eine traumhafte Lage. Von hier kann man einen Blick auf die goldene Kuppel des Felsendoms auf dem Tempelberg genießen, oder auf die Scherover Promenade, eine der großen grünen Lungen Ostjerusalems. Angesichts dieses Ausblicks wundert man sich nicht, dass sich laut einer Legende irgendwo in diesem kleinen exklusiven Stadtteil südwestlich der Jerusalemer Altstadt einst der Hohepriester Hanania begraben ließ. Eine andere Legende sagt, tausend Jahre später habe es ihm Ahmad al-Qudsi, ein Weggefährte Saladins, nachgemacht, und den Hügel zu seiner letzten Ruhestätte bestimmt. Nur wenige Autominuten vom Zentrum entfernt, ist die Atmosphäre zwischen den engen Gassen mit den arabischen Villen in vielen Teilen rustikal. Kaum etwas erinnert heute noch daran, dass sich vor 1967 ein tödlicher Grenzstreifen mitten durch das Stadtviertel zog. Stacheldraht, Scharfschützen und Betonwände trennten den hoch gelegenen israelischen Teil im Westen und den tiefer gelegenen, von Jordanien besetzten Ostteil. Die Grenze zog sich mitten durch Abu Tor.
    Im Sechstagekrieg 1967 wurde der Stadtteil, wie der Rest Jerusalems, nach zwanzig Jahren Trennung wieder unter israelischer Herrschaft vereint. Wo einst Niemandsland war, steigt heute eine Fußgängertreppe in eine baumbestandene Straße, in der Kinder sorglos spielen. Die Mauern und der Stacheldraht sind aus den Straßen verschwunden, in den Köpfen der Stadtbewohner hat sich die Trennung jedoch erhalten. Bis heute bleibt Abu Tor, wie die meisten Stadtviertel Jerusalems, entlang einer unsichtbaren Linie säuberlich in einen arabischen und einen jüdischen Teil geteilt.
    Die Unterschiede sind greifbar. Wer in den jüdischen Teil kommt, wird von breiten, sauberen, baumbestandenen Straßen empfangen. Nur wenige Hundert Meter weiter, östlich jener Treppe, die einst die Grenze markierte, herrscht eine

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