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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Yaron
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dieser stiefmütterlichen Behandlung war es, den Anteil nicht jüdischer Bewohner Jerusalems niedrig zu halten. Trotzdem hat die Anzahl der arabischen Stadtbewohner rasant zugenommen, heute machen sie in etwa fünfunddreißig Prozent der Bevölkerung aus. Resultat ist eine zunehmende Bevölkerungsdichte in Ostjerusalem, die inzwischen doppelt so hoch ist wie im jüdischen Westteil. Das hat die Mietpreise in die Höhe schnellen lassen.
    Doch statt die Araber in Ostjerusalem zu vergraulen und den klaren jüdischen Charakter der Stadt buchstäblich zu zementieren, hat die israelische Politik das Gegenteil bewirkt. Tausende Araber ziehen jährlich aus dem arabischen Osten in moderne Stadtviertel im Westen oder in jüdische Stadtteile im Osten, die von den Palästinensern als »Siedlungen« bezeichnet werden. Längst ist die Stadt nicht mehr in einen jüdischen West- und einen arabischen Ostteil trennbar. Dafür sind die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu verwoben und verstrickt. Insgesamt sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung in diesen »jüdischen« Siedlungen Ostjerusalems Araber. Je nach Stadtviertel ist das Zusammenleben verschieden: Auf dem French Hill, nahe der Universität, sprechen Bewohner von einem friedlichen Nebeneinander. In Pisgat Zeev, nur drei Autominuten entfernt, kommt es hingegen manchmal spontan zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Arabern und Juden. Hier kann man arabische Wohnungen oft daran erkennen, dass kein Namensschild an der Haustür hängt, um die Nachbarn nicht zu reizen.
    Ganz anders verhalten sich da die israelischen Siedler, die aus ideologischen Gründen Häuser tief inmitten arabischer Stadtviertel beziehen. Auf den Dächern weht herausfordernd die israelische Fahne, bewaffnete Wächter patrouillieren rund um die Uhr um die Wohnobjekte, die mit Stacheldraht und Kameras abgesichert sind. In Scheich Jarrah protestieren jeden Freitag Juden und Araber gemeinsam gegen die Präsenz der Siedler. Doch in der vertrackten Geschichte Jerusalems glauben diese, dass sie sich moralisch im Recht befinden, beziehen sie doch oft Häuser, die einst jüdischen Einwohnern gehörten, die von ihren arabischen Nachbarn vertrieben wurden.
    Medienberichte konzentrieren sich gern auf die dramatischen Höhepunkte dieser einzigartigen Koexistenz, wenn die Spannungen überkochen und in Gewalt münden. Kaum ein Monat vergeht, in dem die Polizei nicht Ausschreitungen von Palästinensern auf dem Tempelberg, Zusammenstöße mit Demonstranten in einem arabischen Stadtteil, Protestmärsche von Ultraorthodoxen oder andere Massenkundgebungen vor dem Parlament fürchten muss. Doch das Leben in dieser mehr als dreitausend Jahre alten Stadt ist ein viel zu komplexes Phänomen, um es in nur wenige Worte zu fassen. Denn viel häufiger als das monatliche Gegeneinander ist ein Alltag des Nebeneinanders, in dem man sich gegenseitig ignoriert. Unbeachtet von der Presse, knospen in der umstrittenen Stadt des Friedens sogar manchmal die zarten Blüten eines kooperierenden Miteinanders. Wie auf dem Spielplatz von Abu Tor, wo arabische Verteidiger ihren jüdischen Torwart decken.

Ständig auf dem Hut
Vielen erscheinen ultraorthodoxe Juden nur als ein schwarzes Meer identisch gekleideter Personen. Im Hutgeschäft Ferster in Mea Schearim weiß man es besser
    Gewöhnlich schaut der Schalk aus Abraham Fersters Augen. Doch jetzt eilt er auf einmal zu dem neuen Kunden am Tresen. »Das ist ein sehr namhafter Rabbiner«, flüstert Ferster ehrfurchtsvoll. Er wolle seinen Hut reparieren lassen, erklärt der ältere Herr. Obwohl der Rabbiner ein viel beschäftigter Mann ist, kümmert er sich lieber selbst darum. Denn was für viele Deutsche ihr Auto ist, ist den Haredim ihre Kopfbedeckung.
    Selbst viele Israelis können zwischen den verschiedenen Gruppierungen der Ultraorthodoxen nicht unterscheiden und scheren die Gläubigen mit den schwarzen Kaftanen und langen Schläfenlocken meist über einen Kamm. Einem Kenner wie Abraham Ferster jedoch klingt diese Verallgemeinerung wie der Vergleich zwischen einer Limousine und einer Kutsche, die ja auch alle vier Räder und eine Sitzbank hätten. »Es liegen Welten zwischen verschiedenen Gruppen der Haredim, und jede hat ihren eigenen Hut«, sagt der neunundzwanzig Jahre alte Hutmacher. »Niemand kann sich als Haredi verkleiden, er würde sofort auffliegen«, sagt Ferster, der die Fabrik seiner Familie im orthodoxen Stadtviertel Mea Schearim leitet. Die richtige Kombination von Hut, Strümpfen,

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