Lesereise Kulinarium - Italien
Netze stärker und haben Eisenhaken, mit denen man sie an den Bäumen befestigen und hochziehen kann. Das hat die Ernte wesentlich erleichtert. Ich kann mich erinnern, im ersten Jahr – Anfang der fünfziger Jahre – haben meine Frau, mein Sohn und ich an einem einzigen Tag einmal hundertzweiundsechzig Kilo Oliven gesammelt. Das war ganz enorm. In der Nacht zuvor hatte der Wind allerdings kräftig nachgeholfen und die Oliven heruntergeweht. Gleich nach Tagesanbruch hat mein Sohn die Netze zusammengezogen, und meine Frau und ich haben dann die Oliven gesammelt. Die Netze säubern, pulire le reti , nennt man das bei uns. Für eine solche Menge hätten früher vierzehn, fünfzehn Frauen über zwei Wochen lang täglich arbeiten müssen. Die gerade abgefallenen Oliven sind natürlich auch frischer und liefern besseres Öl. Das Öl aus einer solchen Ernte hat dann nie mehr als 0,7 Grad Säure.«
Ein paar Hügel weiter von Brunello Rambaldis Familienbesitz betreut sein Freund und Mitstreiter Franco Pullìa einen experimentellen Olivenhain. Traditionelles Wissen wollen die Betreiber erhalten und weiterverbreiten, auch den Anbau von neuen Plantagen fördern. Viele Haine liegen inzwischen brach, weil kaum ein Anbauer ausschließlich davon leben kann.
Olivenpflücken war in den südlichen Regionen Italiens jahrhundertelang Frauenarbeit. Seine Mutter, eine kalabresische Olivenpflückerin, so erzählt Franco Pullìa, hatte ihren Sohn nach der Geburt anstatt in eine Wiege bei ihrer Arbeit unter den Schutz eines mächtigen Olivenbaums gelegt.
»Wir haben hier dreiundvierzig Arten angepflanzt – eine einmalige Pracht. Man könnte sich richtig in Olivenbäume verlieben. Am häufigsten sind hier die Taggiasca-Oliven, daneben gibt es die Frantoio di Leccino und die Moraiolo-Oliven. In den meisten Hainen wachsen drei, vier Sorten nebeneinander. Die verschiedenen Sorten kann man an den Blättern erkennen, weil jede Sorte eine eigene Blattform hat und die Früchte unterschiedlich groß sind.« Franco Pullìa, der hier Besucher mit traditionellem Wissen vertraut macht, ist ein strenger Kritiker europäischer Verkaufspolitik.
Durch den Zusatz »kaltgepresst« als vermeintliches Qualitätsmerkmal, erklärt Franco Pullìa, entstand viel Verwirrung. »›Kaltgepresst‹ bedeutet zunächst nur, dass beim Dekantiervorgang nur kaltes Wasser verwendet wird. Die Industriebetriebe haben begriffen, wie wichtig die Qualität der Produktion ist und haben dieses Verfahren der kleinen Betriebe übernommen. Das eigentliche Problem besteht darin, dass es im Supermarkt olio extra vergine für dreieinhalb Euro der Liter gibt. Die Zahlen haben ihre eigene Realität. Für die Produktion des Öls hier im Gebiet von Imperia haben wir eine klare Rechnung aufgestellt: Ein Liter Öl hat einen Herstellungspreis von knapp über vier Euro. Und das setzt sich zusammen aus der manuellen Arbeit, dem Verbrauch von Wasser und Düngemitteln. Das Öl der wertvollen Taggiasca-Oliven mit einem Säuregehalt von weniger als einem halben Grad und von wirklich guter Qualität kann nicht weniger als neun Euro kosten. Denn sonst geht die Rechnung für den Anbauer nicht auf. So erklärt sich auch, warum so viele Olivenhaine aufgegeben werden, was immer mehr zum Problem wird. Und so werden dann ursprünglich große Anbaugebiete immer stärker parzelliert.«
Auch die drei Güteklassen sind europaweit gleich: nativ extra und nativ sind die höchsten Güteklassen. Daneben gibt es noch das einfache »Olivenöl«, das, wie alle anderen Pflanzenöle auch, zuerst raffiniert wird und dann durch die Hinzufügung von würzigem Öl wieder Geschmack erhält. Aber alle drei sind erstklassige Öle, die hoch erhitzbar sind und viele ungesättigte Fettsäuren enthalten.
Zweieinhalb Millionen Menschen leben heute noch weltweit vom Olivenanbau. Innerhalb der Europäischen Union wird der Anbau mit acht Euro pro Baum gefördert. Die Regeln der EU sorgten allerdings für eine verwirrende Verkaufspolitik. Bis vor Kurzem konnte bloß in Italien abgefülltes Öl unabhängig von seiner Herkunft immer als italienisches Olivenöl verkauft werden.
Für den Anbauer hatte dies negative Folgen, weil große Betriebe billiges Öl aus Nicht- EU -Ländern einführten und im Hafen von Imperia verluden. Erst seit 1999 gibt es eine Verordnung, die genauere Angaben auf dem Etikett verlangt.
»Ich habe viele Jahre mit dem Olivenanbau verbracht«, sagt Brunello Rambaldi. »Und auch von meiner Familie habe ich
Weitere Kostenlose Bücher