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Lesereise Kulinarium - Italien

Lesereise Kulinarium - Italien

Titel: Lesereise Kulinarium - Italien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothea Loecker , Alexander Potyka
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Sichtbarster Beweis: Aus dem dickbauchigen, strohumwickelten fiasco ist eine genormte Bordeaux-Flasche geworden, auf der meist ein schwarzer Hahn prangt. Gütesiegel für den kontrollierten Qualitätswein aus dem historischen Chianti-Gebiet. Die eigentliche Veränderung in Weinberg und Keller hingegen ist weniger augenscheinlich. Sie wird erst bei einer Weinprobe erkennbar: Chianti ist nicht mehr der einfache Tischwein früherer Tage. Er hat sich zu einem gut strukturierten Wein mit intensiver Farbe, höherem Alkoholgehalt und dem obligatorischen Holztanningeschmack gemausert und ist zudem heute lagerungsfähig.
    Mit den Zeiten hätten sich eben die Trinkgewohnheiten geändert, kommentiert Luigi Folonari vom Weinhandelshaus Ruffino diese Entwicklung. Der traditionsreiche Familienbetrieb, der in den sechziger Jahren die Bundesrepublik mit seinem Chianti Ruffino sozusagen italianisierte, hat die Veränderung selbst zu spüren bekommen. Sein Tischwein kam plötzlich aus der Mode. »Früher war Wein in einem Herstellerland ein Lebensmittel. Heute hingegen ist er ein Produkt, mit dem man Eindruck machen will. Er wurde zum Ausdrucksmittel der Identität von Weinkennern und solchen, die es werden wollen.«
    Die Trendwende begann in den achtziger Jahren, als Essen und Trinken plötzlich zu Ess- und Trinkkultur fermentierten. Die Weintrinker wollten nicht nur ein Getränk zum Essen, sie wollten Qualität. Die Nachfrage nach einer Weinkategorie, die diese Vorlieben widerspiegelte, wuchs. Seitdem werden in der gesamten Region zwar weniger, dafür bessere Weine gekeltert.
    Die Folonaris standen – wie alle Winzer im Chianti-Gebiet – allerdings vor dem Problem, im selben Anbaugebiet mit der gleichen Rebsorte einen modernen, sprich lagerungsfähigen, eleganten Wein zu keltern. Weil ein großer Wein zuallererst im Weinberg gemacht wird, womit natürlich nicht nur die sorgfältige Weinlese per Hand gemeint ist, schraubten die Winzer die Hektarerträge herunter, ersetzten überalterte Weinstöcke, experimentierten mit der Pflanzendichte und probierten neue Schnittmethoden aus.
    In der Kellerei wurde ebenfalls experimentiert: Zwar verlangte die historische Formel, dass Chianti nur aus der roten Sangiovese-Traube zusammen mit einem kleinen Anteil weißer Trauben gekeltert werden durfte. Dieses traditionelle Mischverhältnis aus roten und weißen Trauben garantierte schließlich seine typische Frische, die Fruchtigkeit und das intensive Bouquet, gleichzeitig verringerte es jedoch seine Lagerfähigkeit. Die Chianti-Winzer setzten sich aber vielerorts über die strengen Produktionsvorschriften hinweg. Sie probierten reinsortige Sangiovese-Weine aus und mischten französische Traubensorten dazu. Zusätzlich modernisierten sie ihre Kellereien und nahmen experimentierfreudige Weintechniker unter Vertrag, die die Weine beispielsweise in kleinen Eichenholzfässern, den Barriques, reifen ließen, um eine persönliche Note zu erzielen. Seitdem ist Chianti viel differenzierter als noch vor einigen Jahren. Plötzlich spielen Unterzonen wie Gaiole und Castellina eine Rolle und sind Begriffe wie Mikroklima und Bodenbeschaffenheit in Weinkenners Mund, weil sich das alles auf den Charakter eines Weines auswirke, wie Luigi Folonari erklärt. Früher habe man einfach die Trauben der verschiedenen Weinberge miteinander vermischt. Das passiere heute natürlich nicht mehr. »Heute lautet die erste Frage eines Weinkenners: Chianti Classico, aus welchem Gebiet und von welchem Betrieb?«
    Nach langem Tauziehen wurde die traditionelle Chianti-Formel verändert. Das bedeutet, der toskanische Rebensaft kann nunmehr offiziell hundertprozentig rot oder mit französischen Trauben versetzt sein. Der Aufwand hat sich nach Meinung der Winzer gelohnt. Chianti Classico ist erneut das italienische Lieblingskind der internationalen Weinfreunde, die dafür hohe Preise zahlen.
    Der typische Chianti sei allerdings auf der Strecke geblieben, bedauert der Schweizer Andreas März, der in der Toskana lebt. Der Weinjournalist trauert dem »fröhlichen, unbeschwerten, tanninigen Produkt« nach, das man zum deftigen Essen trank. Heute existierten fast nur noch teure, aufgerüstete Weine, die »schwerer, konzentrierter und weniger trinkbar sind«. Er hofft, dass das Pendel wieder nach der anderen Seite ausschlägt. Es sei so weit gekommen, dass die hochgelobten Weine zum Objekt der Sammelbegierde geworden sind und ungeöffnet in den Kellern verstauben. Er glaubt, dass er den

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