Lesereise Kulinarium - Italien
richtigen Chianti-Freunden aus dem Herzen spricht, wenn er sich wieder mehr Chianti-Weine zum Trinken wünscht. »Dafür sind sie schließlich da.«
Christiane Büld Campetti
In vino veritas – und jede Menge Arbeit
Ernesto und seine Weinkellerei
Ernesto mustert meine Füße, die in dunkelblauen, hochhackigen Lederpumps stecken. »Sechsunddreißig?«
Nie im Leben. »Neununddreißig!« Ernesto versteht wohl von Trauben und Wein mehr als von Damenfüßen. Er gibt mir ein Paar dicke, dunkelbraune Schnürstiefel mit erdverkrusteter Sohle, Größe einundvierzig, und ein Paar dicke Socken. Meine Jeans lässt er als Erntekleidung gerade so durchgehen, über meine hellblaue Bluse muss ich eine dunkelgrüne wetterfeste Jacke ziehen. Ernesto mit dem olivbraunen wettergegerbten Gesicht, den lustigen kohlrabenschwarzen Augen und der dunkelbraunen Haarpracht, um die ihn jeder nordeuropäische Mann in seinem Alter beneiden würde, ist Hobbywinzer. In der Hügellandschaft bei Montefalcone besitzt seine Familie seit Generationen ein kleines zauberhaftes Weingut. Die Weinstöcke klettern steile, unwegsame Hügel hinauf. Produziert wird für den Eigenverbrauch, nur die besten Freunde bekommen ein Schlückchen ab. Ich habe versprochen, ihm heute bei der Traubenernte zu helfen und bekomme dafür ein Nachhilfestündchen in Sachen Weinanbau.
Die Sonne strahlt vom azurblauen Himmel, ein leichtes Lüftchen huscht durch meine Haare, ein süßlicher Traubenduft liegt in der Luft.
Ernesto knackt eine Weintraube von der Rebe, »Siehst du, so muss ein Träubchen aussehen«, erklärt er mir und streichelt so vorsichtig über die hellgrüne Schale, als wäre es das Köpfchen eines Neugeborenen.
»Koste«, er streckt mir sein Träubchen hin. »Diesen Geschmack«, er hält einen Moment inne, fährt dann mit einer dieser gewaltigen Handbewegungen fort, wie sie nur die Italiener können, »dieses Traubenbouquet, das musst du nachher im Wein wiederfinden.«
Bis er von seinen Rebstöcken endlich Trauben ernten kann, muss er hart arbeiten. Zwar ist er inzwischen schon lange nicht mehr per pedes, sondern, wo es geht, mit einem kleinen Traktor unterwegs, doch auch das ist keine reine Spazierfahrt. Der Weinanbau beginnt mit dem Rebensetzen, mit dem Spannen von Drähten und Pfählen, ohne die sich die Weinreben zu wild wuchernden Schlingpflanzen auswachsen würden.
Hängen endlich die richtigen Träubchen an den Reben, dann müssen sie behütet werden vor fresslustigen Schädlingen und gegen den Frost beschützt werden. Gute drei Jahre dauert es nach dem Pflanzen, bis die Reben einen vollen Ertrag bringen. Damit sie das tun, müssen sie regelmäßig geschnitten werden.
»Wenn ich schneide, habe ich schon den Geschmack des Weines im Kopf«, erklärt Ernesto.
Viele seiner Kollegen benutzen inzwischen einen Traubenvollernter, doch so was lehnt Ernesto ab. Die Maschine nimmt alles mit, sagt er, gesunde, kranke, reife, unreife, sie wirft alle Trauben in einen Topf. »Die Romantik der Traubenlese besteht doch darin, differenziert zu lesen«, erklärt Ernesto, sortiert ein paar Handvoll Trauben aus meinem Eimer, pfeffert sie in die Weinberge, »und die Qualität eben auch.«
Nach der Ernte werden die Früchte zwischen zwei Walzen gequetscht oder gemahlen. Nach dem Mahlvorgang ist aus den Trauben Maische geworden. Moderne Keltersysteme können bis zu fünfzig Tonnen Trauben in einer Stunde verarbeiten. Ernesto allerdings tritt die Trauben noch ganz old-fashioned mit den Füßen. Er schüttet die Ernte in einen Trog und tritt sie mit bloßen Füßen aus, so wie man es aus alten italienischen Filmen kennt. Durch eine Abflussrinne fließt der Saft in ein darunter gestelltes Gefäß.
Dann ist der Gärungsprozess an der Reihe, der von den Hefepilzen verursacht wird. Diese erzeugen Enzyme, die den Zucker des Traubensafts in Alkohol und Kohlendioxid verwandeln. Dabei entsteht aus einem Gramm Zucker ein halbes Gramm Alkohol und ein halbes Gramm Kohlendioxid. Das bei der Gärung frei werdende Kohlendioxid muss laufend abgesaugt werden, sonst gibt es Todesfälle im Keller. Ernesto hält beim Betreten des Gärkellers eine brennende Kerze in Bauchhöhe vor sich. Geht sie aus, besteht Lebensgefahr und er muss den Keller schleunigst verlassen. Vier Wochen nach Beendigung der Gärung erfolgt der erste Abstich, man entfernt das Hefesediment, das sich am Boden des Fasses abgesetzt hat.
Das Fass aus Eichenholz gehört der Vergangenheit an, der Wein von heute lagert in
Weitere Kostenlose Bücher