Lesereise Kulinarium - Italien
einem Stahltank. Ernesto erzählt von einem Kollegen, dem Besitzer eines riesigen Weinguts, der die Besucher an einer Reihe von Holzfässern vorbeiführt – im verschlossenen Nebenraum sind die Stahlriesen versteckt. Die alten Fässer sind voller Bakterien und machen den Wein krank.
Lediglich Barrique-Fässer wären akzeptabel, doch die kosten bis zu tausend Dollar pro Stück – unerschwinglich für Hobbywinzer.
Nach Beendigung des Ausbaus wird der Wein in Flaschen gefüllt, und dann lagert er vor sich hin. Ernesto lässt seinem Wein viel Zeit. »Er sagt mir, wann er raus will.«
»Je älter, desto besser«, sage ich fachkundig.
»Ein guter Wein ist immer gut, von der Jugend bis ins Rentenalter«, korrigiert Ernesto.
Während Ernesto erzählt, haben wir fleißig in unsere dunkelgrünen Plastikeimer geerntet, die wir nun in eine Tragebutte kippen. Ernesto hievt das Ding, fast so groß wie er selbst, auf seinen Rücken. Vierzig Kilo wiegt so eine volle Butte, ich habe ein wenig Angst, dass er vornüberkippt …
Ernesto marschiert zu dem kleinen grünen Wagen am Wegrand, steigt auf eine schon etwas rostige Leiter und kippt die Ernte in den Wagen. Ich strecke meine armen strapazierten Glieder. Mein Rücken tut weh, im rechten Arm kündigt sich Muskelkater an. »Brava!«, lobt Ernesto meinen Einsatz. Wir setzen uns in den Wagen und tuckern zum Haus.
Nach getaner Arbeit ist gut Wein kosten. Wir sitzen in Ernestos gemütlichem Weinkeller an einem langen dunklen Eichenholztisch und schnüffeln an den vollen Gläsern. Ernestos Wein ist ein nostrano , ein »Unsriger«, kein Spitzenwein mit Label, ein schlichter Wein des Landes.
»Wein ist etwas Lebendiges, ich lebe mit ihm, am Weinberg, im Weinkeller«, philosophiert Ernesto. Er nimmt einen Schluck. »Die Persönlichkeit des Winzers spiegelt sich in jedem Wein. Der Wein ist meine große Liebe!«, schwärmt er. Seine Frau Luisa kommt zur Tür herein, sie hat ein großes Tablett mit antipasti , salame und frischem Weißbrot dabei.
»An erster Stelle kommt natürlich meine Frau«, korrigiert Ernesto flugs. »Dann der Wein, dann das Essen von Luisa.«
Der Salamiduft schleicht sich in meine Nase, mein Magen knurrt, Weinlese macht hungrig. »Prego!«, fordert mich Luisa auf. Ich packe mir ein dickes Stück Brot und eine Scheibe salami .
Ernesto ist noch im Wein versunken, er schüttelt sein Glas, dass die rote Flüssigkeit tanzt wie eine Primaballerina. »Der Wein ist ein Geschichtenerzähler«, schwärmt er weiter. Man merkt, er ist in seinem Element, er liebt, was er tut. »Jeder erzählt seine eigene Geschichte.«
Ich höre genau hin, sehe ganz tief hinein, beobachte konzentriert jede Bewegung, mein Glas jedoch schweigt beharrlich – aber ich wette, mein Rücken wird mir morgen ein paar höchst interessante Geschichten erzählen …
Apropos Geschichten, eine weinselige zum Schluss: Es war einmal ein deutscher Bischof, der den guten Tropfen sehr zugetan war.
Vor einer Romreise beauftragte er seinen vorausgeschickten Diener, in jedem Nachtquartier den örtlichen Wein zu kosten und sein positives Urteil mit einem »Est« an die Haustür zu schreiben. Der Diener kam nach Montefiascone, probierte den goldgelben Wein aus Moscato-Trauben und war hellauf entzückt. An der Haustür verlieh er seiner Begeisterung mit einem »Est-Est-Est« Ausdruck. Der Bischof folgte, trank und bestätigte des Dieners Urteil. Und dann soll er sich an dem süffigen Muskateller von Montefiascone zu Tode gesoffen haben, was sogar auf seinem Grab vermerkt steht.
Ganz so intensiv wie der weinliebhabende Bischof sollte man die umbrischen Weine nun nicht gerade kosten, doch ein Probeschlückchen müsste schon drin sein. Umbrien ist das qualitative Zentrum des Weinanbaus Mittelitaliens. Die bekannteste Sorte ist der Orvieto, der rund um die auf Tuffsteinfelsen gelegene Stadt auf wärmespeichernden Tuffböden wächst, er ist Umbriens größter Exportwein, steht in jeder Pizzeria auf der Getränkekarte. Es gibt ihn trocken, secco, oder lieblich, amabile , aus dem Bouquet edelfauler Trebbiano-Beeren, oder aber leicht süß, abbocato , zum Dessert. Die gehobenere Version des viel konsumierten Weißweins ist der Orvieto Classico, nur in einem begrenzten Anbaugebiet darf er sich so nennen. Wer Weinshopping betreiben möchte, tut gut daran, auf den Zusatz »classico« zu achten.
Was des Bischofs Vorkoster wohl an die Tür der Lungarotti in Torgiano, Umbriens Weinhochburg, geschrieben hätte? Vielleicht
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