Lesereise - Schweden
die Natur ohne ihr Zutun nicht funktioniert. Bald aber gewinnen wir Vertrauen in unseren Fluss. Beginnen zu verstehen, dass er ein Freund ist, der uns sicher befördern wird. Auch wenn wir scheinbar auf einen Felsen zusteuern oder aufs Ufer zutreiben, leitet uns die Strömung wie von Wunderhand geführt kurz vor einem Zusammenstoß von dem Hindernis weg. Der Klaraälv ist aber kein lauter Freund, der sich aufdrängt. Er gehört zu der ruhigeren Sorte, ist einer von denen, die man anfangs sogar für ein bisschen langweilig hält. Lernt man ihn dann näher kennen, stellt sich heraus, dass er viel zu bieten hat.
Wirklich Spektakuläres sehen wir nicht während der vier Tage auf dem Floß. Die weiten Wälder Värmlands säumen die Ufer, ab und an tauchen ein paar rote Häuser auf, sehen wir Kühe auf der Wiese oder hören ein Auto in der Ferne. Manchmal stören wir ein paar Enten oder scheuchen Gänse auf, die wütend und zeternd davonfliegen. Auch Biber sollen am Fluss leben, die aber bleiben uns verborgen. Wahrscheinlich, weil wir bald den Ausguck vernachlässigen und unseren Gedanken nachhängen. Wir reden über Gott und die Welt, träumen vor uns hin, schmieden Pläne, schaffen auch einige Seiten des Buches, das wir mitgenommen haben. Am »anstrengendsten« ist die Suche nach dem abendlichen Schlafplatz. Sollen wir hier auf der Sandbank zelten oder dort drüben auf der Wiese oder vielleicht doch noch die nächste Biegung abwarten und erst dann an Land gehen? Die Welt wird auf die wirklich wichtigen Fragen reduziert.
Und die Welt bleibt draußen
Urlaub im Ferienhaus
Die Essensvorräte gehen zu Ende. Jetzt ist Kriegsrat angesagt. Das nächste Lebensmittelgeschäft liegt fünfzig Kilometer entfernt, und einige von uns müssen sich mit einer langen Einkaufsliste ausgestattet auf den Weg machen. Seit fünf Tagen wohnen wir in einem schwedischen Sommerhaus, einer stuga . Wir sind gewandert und geschwommen, haben Pilze und Beeren gesammelt, sind mit dem Kanu über den See gepaddelt. Außerdem haben wir gegessen, getrunken und dabei die Zeit vergessen. Und plötzlich war der Kühlschrank leer.
Keiner von uns will seinen Urlaub unterbrechen und die weite Fahrt zurück in die Zivilisation antreten. Und so wird gelost. Das kürzere Zündholz schickt zwei unserer Freunde auf den Weg und wir, die wir im Haus zurückbleiben dürfen, können das tun, was wir bisher auch getan haben – wandern, schwimmen, Beeren sammeln …
Der eine besteigt den Himalaja, ein anderer schippert den Amazonas hinauf oder wandert durch die Wüste Gobi. Überall auf dem Globus warten Abenteuer.
Für einige Menschen finden die wahren Abenteuer aber im Kopf statt. Sie brauchen nicht den Kick von außen. Sie sind sich selbst genug – und damit die perfekten Kunden für die Ferienhausanbieter.
Immer mehr Deutsche verbringen ihren Urlaub in einer stuga in Schweden. Bei manchen geht die Faszination, die die roten Holzhäuser mit weißem Rand auf sie ausüben, sogar so weit, dass sie sich ihr eigenes Haus im Norden kaufen. Freiheit, kein Stress, unberührte Natur und freundliche Nachbarn, die wiederum aber ausreichend weit genug entfernt wohnen, um nicht zu nerven. Das sind Argumente, die man häufig hört, wenn man nach der Motivation für den Hauskauf in Schweden fragt. Zudem sprechen auch ganz handfeste Gründe dafür, den Traum vom Sommerhaus nicht auf später zu verschieben. Wer deutsche Preise zugrunde legt, hält Schweden für Rudis Resterampe auf dem Immobilienmarkt. Dort muss man mitunter so wenig bezahlen, dass man misstrauisch nach einem Haken sucht. Doch während man bei Rudi in manchem T-Shirt wirklich ein Loch findet, gibt es an schwedischen Ferienhäusern in der Regel nichts auszusetzen. Außer dass der nächste Lebensmittelladen fünfzig Kilometer entfernt liegt.
Als unsere Expedition zurückkehrt, wird sie mit großem Hallo empfangen. Etwas Zivilisation, in Form von frischem Gemüse, Joghurt, Käse, Wurst und Brot, ist nicht zu verachten. Ein Sonderlob gibt es für die gute schwedische Schokolade, die nicht auf dem Zettel stand, aber trotzdem den Weg in den Einkaufswagen fand. Das Beste an dem frisch gefüllten Kühlschrank ist aber die Vorstellung, dass eine weitere Woche vor uns liegt, in der die Probleme draußen bleiben müssen. Die ersten Tage hatten wir über den Fernseher noch schlechte Nachrichten hereingelassen, doch irgendwann haben wir auch diese Verbindung nach außen gekappt. Die Glotze blieb aus, die Fernbedienung im
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