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Lesereise - Schweden

Lesereise - Schweden

Titel: Lesereise - Schweden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rasso Knoller
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sechsundzwanzigtausendsiebenhundert Tieflader inklusive Anhänger gepasst hätte! Inzwischen wird aber schon lange nicht mehr kommerziell geflößt, heute treiben nur noch Touristenflöße wie das unsere den Fluss hinab.
    Bevor wir aber ablegen können, ist schwere Körperarbeit angesagt. Wir müssen Holzstämme ans Ufer schleppen, sie dann ins Wasser rollen und dort zusammenbinden. Fünfzehn für jede Lage, drei Lagen insgesamt – und dann das Ganze noch ein zweites Mal. Fast hundert Baumstämme rollen, stemmen und verknoten wir zu zweit – Muskelkater ist vorprogrammiert.
    »Wie ging gleich noch mal der Knoten?«, frage ich.
    »Keine Ahnung«, kommt die Antwort meiner Mitstreiterin.
    Ing Marie muss also einspringen und helfen, so wie sie in den folgenden sechs Stunden noch mehrmals einspringen und helfen muss. Ing Marie ist die Chefin von »Vildmark i Värmland«. Sie ist es, die unsere Floßfahrt organisiert.
    Stunden später schwimmt unser selbst gebautes Floß vor uns im Wasser. Eigentlich haben wir sogar zwei Flöße gebaut, die miteinander verbunden sind. Auf dem einen steht ein Zelt, auf dem anderen werden wir den Tag verbringen. Sechs Meter lang und drei Meter breit ist unser Heim. Aufgeregt stehen wir davor und können es kaum erwarten, es in Besitz zu nehmen. Erst aber muss der Proviant verladen werden. Wir spielen den Essensplan für die nächsten Tage durch: Nudeln, Reis, Knäckebrot, Käse und Hartwurst. Noch wichtiger: Wie viel Bier werden wir brauchen? Und: Soll der Rotwein auch aufs Floß? Schlafsack, Kocher und Matte – wir sind schnell abfahrbereit. Wasserdicht verpacken brauchen wir nichts. Strudel, Stromschnellen oder andere Gefahren erwarten uns keine. Schneller als zwei Stundenkilometer wird unser Floß nicht sein. »Wie schnell ihr wirklich seid, hängt vom Wind und von der Strömung ab«, erklärt Ing Marie und rät: »Lasst euch einfach treiben.«
    Dass es so gemächlich zugeht, liegt am Menschen. Obwohl der Klaraälv einen naturbelassenen Eindruck macht, reguliert an seinem Oberlauf ein Staudamm den Wasserzufluss. Der sorgt dafür, dass die Fließgeschwindigkeit unabhängig vom Wetter und den Jahreszeiten nahezu konstant bleibt.
    »So eine Reise auf dem Floß empfehle ich nicht jedem«, sagt Ing Marie, »man hockt nämlich recht eng aufeinander.« Sie hat Paare erlebt, die sich nach einer solchen Fahrt trennten. »Auf dem Floß hast du viel Zeit für dich selbst, und wenn du dann Probleme mit dir oder dem anderen hast, kommen die garantiert hoch.« Für die meisten ist eine Floßfahrt aber eine Reise zu sich selbst – und zwar im positiven Sinne. Sie genießen es, endlich wieder Zeit zu haben, um nachzudenken, zu lesen, zu träumen und einfach zu schauen und nichts zu tun. Oder eben auch Zeit für und mit dem Partner zu haben. Eine Floßfahrt ist Urlaub vom Alltagsstress.
    Viertausend Gäste schickt Ing Marie Junier jährlich den Klaraälv hinab. Es gibt auch ein Konkurrenzunternehmen, bei dem man nicht selbst bauen muss, sondern den Fluss auf Hartplastikflößen hinabtreibt. Für Ing Marie ist das nichts. »Stellt euch vor, ihr kommt nach vielen hundert Kilometern Auto-Anreise hier an und fahrt dann gleich los. Da habt ihr doch gar keine Zeit runterzukommen und abzuschalten. Bei uns gehört der Floßbau mit zum Erlebnis«, sagt sie resolut. Ich stimme ihr zu, obwohl meine Oberarme am nächsten Tag vorsichtig widersprechen. Viele Gruppen melden sich sogar hauptsächlich wegen des Floßbaus an. »Selbst Managerseminare haben wir schon durchgeführt«, sagt Ing Marie. »Hier wird den Leuten klar, dass man nur in Zusammenarbeit etwas erreichen kann.« Sie hat Anzugträger aus Führungsetagen erlebt, die hier knietief im Wasser standen und Stämme zusammenknoteten – und merkten, dass sie auf die Hilfe des Kollegen angewiesen waren, den sie im Büro immer als lästige Konkurrenz betrachtet hatten. »Für das Team ist das klasse«, erklärt Ing Marie. Deswegen zählen auch Schulen zu ihren Kunden. Problemkids erfahren dann im Prinzip dasselbe wie Manager: Gemeinschaftsgefühl.
    Heute sind aber weder Manager noch Schulklassen hier. Nur ein holländisches Ehepaar mit zwei Kindern beginnt seine Flussfahrt zeitgleich mit uns.
    Irgendwann sind wir endlich unterwegs. Ruhig gleitet unser Floß dahin. Anfangs trauen wir dem Frieden nicht und versuchen unserem Untersatz mit Paddel oder Stakstange die gewünschte Richtung zu geben. Noch verhalten wir uns wie Zivilisationsmenschen, die glauben, dass

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