Lesereise - Schweden
vertreibt. Wer die Kollektion aus dem »Modehaus des Mittelalters« trägt, ist auf dem Festival bestens gekleidet. Falsche Kleidung kommt allenfalls bei Touristen vom Festland vor. Der Gotländer ist geschichtssicher und entsprechend gekleidet.
Bengt ist Tourist. Er ist zum Fest extra aus Stockholm angereist, ist diesmal aber noch in Zivil unterwegs. Eine Armbrust hat er sich zwar schon gekauft, wie man damit umgeht, muss er aber noch lernen. Das wird er während des Festivals – den Kurs »Wie schieße ich eine Armbrust?« hat er bereits belegt. Auch für den Lehrgang »Rüstungsbau« hat sich Bengt schon angemeldet. Vielleicht schlendert er dann im nächsten Jahr im selbst gemachten Kettenhemd durch die Cafés in Visby … und begegnet Lisbeth. Wer weiß? Das hübsche Burgfräulein wartet noch auf ihren Ritter.
Bunte Pferde
Ein Nationalsymbol aus Holz
Bill Clinton hat einen, Elvis Presley hatte einen, Frank Sinatra und Yassir Arafat auch. Die Rede ist von einem dalahäst , einem Pferd aus Dalarna. Nein, kein lebendiges Pferd. Es ist aus Holz, rot oder blau bemalt und reich verziert. Mehr noch: Dalapferde sind eines der schwedischen Nationalsymbole, und deswegen erhält Lasse Olsson auch des Öfteren Bestellungen der Regierung – die Holztierchen sind das ideale Geschenk für Staatsgäste.
Lasse Olsson gehört die »Dalapferdefabrik« in Nusnäs in der Provinz Dalarna. Er ist der Sohn von Jannes Olsson, dem Erfinder der Holzpferde. 1928 hat dieser zusammen mit seinem Bruder Nils sein erstes Holzpferd geschnitzt. Gerade erst fünfzehn und dreizehn Jahre alt waren die beiden damals, und doch schon die ersten professionellen schwedischen Holzpferdehersteller. »Anderes gab es damals auf dem Land auch nicht zu tun«, stellt Lasse Olsson trocken fest.
Geschnitzt wurde in Schweden natürlich schon früher – die ältesten bekannten Holzpferde stammen aus dem 18. Jahrhundert. Auch diese Figuren entstanden in Dalarna. Damals wie heute überzogen riesige Wälder das Land. Und damals wie heute war Holz der wichtigste Rohstoff der Region. Oft aber lagen viele Kilometer zwischen den Einschlaggebieten und den Dörfern, in denen die Holzfäller wohnten. Die Männer blieben deswegen oft wochenlang im Wald und hausten dort in winzigen Hütten. Abends nach getaner Arbeit gab es nicht viel Abwechslung. Wer mehr machen wollte als ins Herdfeuer zu starren, dem blieb nur die Schnitzerei. Pferde waren das beliebteste Motiv. Vielleicht, weil sie als Arbeitstiere die Holzfäller in den Wald begleiteten. Vielleicht aber auch, weil Pferdefiguren so herrlich einfach zu schnitzen sind. Wenn dann der Vater aus dem Wald nach Hause kam, reichte er den Kindern die groben Holzpferde als Geschenk. Irgendwann hatte vermutlich eine schwedische Mama Angst, ihr Kind könnte sich an dem groben Schnitzwerk verletzen, und bemalte ein solches Pferd – der Vorläufer des Dalapferdes war geboren.
Auch heute ist die Herstellung eines dalahästs noch Handwerk, allerdings wird ein Pferd nicht mehr nur von einer Person hergestellt, sondern es muss eine ganze Reihe von Arbeitsschritten durchlaufen, bevor es fertig ist. Zuerst werden die Umrisse der Pferdefiguren auf Holzblöcke aufgestempelt, dann mit der Stichsäge ausgesägt. Erst wenn die Grobform festgelegt ist, kommt das Schnitzermesser zum Einsatz. »Diese Feinarbeit erledigen für uns ungefähr fünfzig Rentner in Heimarbeit«, sagt Olsson. Dalapferdschnitzer sind in der Region angesehene Leute, und in manchen Familien wird der Beruf von Generation zu Generation weitervererbt. Anders als sonst übernehmen hier aber nicht die Jungen das Geschäft, sondern die Alten. Denn erst wer aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, wird Pferdeschnitzer.
Sobald die Holzpferde von ihrem Ausflug zu den Schnitzern zurück sind, bekommen sie ihre Farbe. Zuerst wird die Grundfarbe aufgetragen, dann werden die Details aufgemalt, und schließlich sorgt ein Schutzlack dafür, dass die Farbe später nicht wieder abblättert. Es braucht schon seine Zeit, bis ein Dalapferd fertig ist und in den Verkaufsraum hinausgaloppieren kann.
Wie aber kam es eigentlich, dass aus den Holzpferden von Jannes und Nils solche Verkaufsschlager, sie gar zu einem nationalen Symbol wurden? Lasse Olsson schüttelt den Kopf ob meiner Frage, lacht und fordert mich auf: »Die nächste Frage, bitte.« Nicht einmal der Herr der schwedischen Holzpferde kennt die Antwort. Die Dalapferde sind zwar durchaus schön anzusehen, aber genau genommen eben
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