Lesley Pearse
Morgen schon allen verraten, warum Giles nach St. Joseph gefahren ist«, meinte Dr. Treagar mit einem breiten Grinsen. »Weißt du, er hat mir erzählt, dass ihr heiraten wollt, doch ich vermute, er möchte es gern selbst kundtun, und deshalb habe ich den Mund gehalten.«
Mrs. Treagar und Matilda waren seit der Überschwemmung gute Freundinnen geworden, und ihre ruhige, vornehme Art erinnerte sie in tröstlicher Weise an Lily. Nachdem ihr Mann gesprochen hatte, erhellte sich ihr unscheinbares Gesicht. »Ich freue mich so für euch beide und Tabby«, versicherte sie mit Wärme. »Wir hatten so große Angst, dass Giles Independence verlassen würde, aber du hast ihm Kraft gegeben und ihn wieder zum Leben erweckt. Wir hoffen, ihr werdet mit vielen Kindern gesegnet sein und für immer hier bleiben.«
Die beiden Frauen beratschlagten über die bevorstehende Hochzeit, und Mrs. Treagar meinte, sie sollten das Schulhaus nach den Feierlichkeiten für eine Feier nutzen. »Ich weiß, alle werden kommen wollen«, fuhr sie fort, und ihre braunen Augen funkelten vor lauter Vorfreude. »Es wird Zeit, dass wir wieder Tanz und Musik in der Stadt haben. Seit der Überschwemmung ist es so ernst und traurig.«
Als Giles am Montagabend aber immer noch nicht heimgekehrt war, fing Matilda an, sich Sorgen zu machen. Sie redete sich ein, dass er länger in St. Joseph geblieben war, um noch ein paar Sachen für ihr Haus zu kaufen, oder aber alte Freunde wiedergetroffen hatte, doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass etwas passiert war. Dennoch versuchte sie um Tabithas willen, die Ruhe zu bewahren, und ging am Dienstagmorgen in die Schule, um den jüngeren Kindern beim Englischlernen zu helfen. Aber sie war nicht mit dem Herzen bei der Sache.
Am Mittwochnachmittag kam Sheriff Neilson die Straße entlanggeritten, während Matilda im Garten arbeitete. Als er vor ihrem Haus stehen blieb, absaß und die Zügel des Pferdes am Zaun befestigte, klopfte ihr Herz laut, denn sie fürchtete, er würde schlechte Nachrichten bringen.
»Ist dem Reverend etwas passiert?« Sie rannte auf den Sheriff zu. »Ist er verletzt?«
Sheriff Neilson war ein großer Mann deutscher Abstammung. Lange Stunden im Freien bei Wind und Wetter hatten sein Gesicht braun wie das eines Indianers werden lassen, und seine Beine waren vom Reiten krumm. Er nahm die Mütze vom Kopf, um Matilda zu grüßen, und sein Gesichtsausdruck war so düster, dass sie sofort wusste, dass Giles nicht nur verletzt, sondern tot sein musste.
»Es tut mir Leid, Miss Jennings«, begann er und schaute nervös zu Boden. »Ich muss Ihnen wohl die Wahrheit geradeheraus sagen. Der Reverend wurde bei St. Joseph erschossen. Es hat den Anschein, als hätte er einen Streit schlichten wollen. Man hat gerade seinen Leichnam für die Beerdigung gebracht.«
Sie fühlte ihre Beine schwach werden, und das Nächste, an das sie sich erinnern konnte, war, dass sie auf der Couch im Wohnzimmer lag und der Sheriff ihr frische Luft zufächelte.
»Es ist wirklich eine Tragödie, Miss Jennings«, sagte er. »Ich weiß, Sie sind mit ihm durch dick und dünn gegangen. Es hat nie einen besseren Mann gegeben, und es ist furchtbar, dass er Miss Tabitha als Waisenkind zurücklassen musste.«
Er verließ das Haus bald, um Mrs. Treagar zu holen. Matilda blieb auf dem Sofa liegen und konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Es schien ihr wie der böseste Traum, der sie je heimgesucht hatte, und sie versuchte verzweifelt, daraus zu erwachen.
»Du hast versprochen, du würdest mich nie verlassen«, flüsterte sie. »Wie konntest du dich nur erschießen lassen?«
Mrs. Treagar betrat das Haus, lief auf sie zu und schloss sie in die Arme. Tränen fielen auf Matildas Haar. »Oh, Matty, es ist schrecklich«, weinte sie. »Giles war ein so wunderbarer Mann. Er hatte noch so viel vor sich. Wie sollen wir es bloß der kleinen Tabitha erklären?«
Der Tod war etwas, das Matilda immer akzeptiert hatte. Schon als kleines Kind war der Anblick des Leichenwagens im Finders Court für sie alltäglich gewesen. Sie hatte ihre eigene Mutter verloren, eine Schwester und Peggy. Als Lucas gestorben war, hatte Matilda still um ihn getrauert und seinen Tod schließlich akzeptiert, weil dies nun mal der Lauf der Welt war. Es war nicht leicht gewesen, mit Lilys Tod zurechtzukommen, weil sie ihre engste Freundin gewesen war, und dennoch hatte sie sich nach einiger Zeit damit abgefunden.
Doch Giles’ Tod konnte sie einfach nicht
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