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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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böse. Als sie jedoch tiefer in die sich schlängelnden Gassen eindrang und es immer dunkler wurde, wurde ihr bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hatte, allein hierher zu kommen. Der Gestank nach Exkrementen war so überwältigend, dass sie den Atem anhalten musste. Es schien hier genauso viele Schwarze wie Weiße zu geben, aber da alle Menschen schmutzig und verwahrlost aussahen, war ihre Hautfarbe beinahe nicht auszumachen.
    Männer und Frauen lagen wie bewusstlos auf dem Boden, und ein Mann ohne Beine schleppte sich, lediglich auf seine Arme gestützt, durch den Unrat. Ein völlig nacktes Kind in Tabithas Alter verschlang ein Stück Brot, das es auf dem Boden gefunden hatte.
    Matilda hatte immer geglaubt, dass es auf der ganzen Welt keinen schlimmeren Ort als Londons Slums gäbe, aber so furchtbar diese auch waren und so viele Verbrechen dort in der Dunkelheit begangen wurden, hatten sie eine pulsierende, geschäftige Atmosphäre, die an diesem Ort vollständig fehlte. Ein Schleier der Apathie hing in der Luft, die Krankheiten, die in jeder dunklen Ecke lauerten, waren beinahe greifbar, und es war seltsam still, als wären die Bewohner in eine Art Trance gefallen.
    Je weiter sie ging, desto schlimmer wurde es. Die Häuser standen immer enger beieinander, der Abfall unter ihren Füßen wurde mehr, und der Gestank wurde unerträglich. Matilda bekam Angst, weil sie merkte, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatte. Es war undenkbar, nach dem Weg zu fragen, denn sie wusste aus London, dass nervös wirkende Fremde in die dunkelsten Gassen geführt und ausgeraubt wurden, wenn sie um Hilfe baten. Sie hatte zwar kein Geld bei sich, aber wenn sie sich die Lumpen der Menschen ansah, wusste sie, dass ihre eigenen Stiefel und Kleider Grund genug waren, sie zu überfallen.
    »Du darfst deine Angst nicht zeigen«, flüsterte sie sich selbst zu. »Halt den Kopf hoch, du wirst schon einen Weg finden.«
    Als jedoch ein Mann mit einem verschlissenen Zylinder und einem Knüppel in der Hand auf sie zusprang, verlor sie vollständig die Nerven. Sein Grinsen war bösartig, und ihr Herz klopfte so laut, als wollte es zerspringen.
    »Komm her, mein Liebling«, hörte sie ihn sagen. Sie hob die Röcke hoch und begann, blindlings zu flüchten. In ihrer Angst glaubte sie, nicht nur von ihm, sondern einer ganzen Gruppe Männer verfolgt zu werden. Sie hetzte durch einen kleinen Weg in einen Innenhof, nur um sich in etwas gefangen zu finden, das sich anfühlte wie ein gigantisches Spinnennetz.
    Matilda schrie lauthals los und hob die Hände zum Schutz in die Höhe, als ihr etwas ins Gesicht schlug. Der Ton ihres eigenen angsterfüllten Schreis riss sie schließlich aus ihrer blinden Panik. Sie sah sich um und erkannte, dass sie nur in ein riesiges Gewirr von Wäscheleinen gelaufen war, auf denen tausende schmutziger Wäschestücke hingen. Sie war überhaupt nicht verfolgt worden, lediglich eine Gruppe verwahrlost wirkender Kinder beobachtete sie. Sie waren durch ihr Geschrei mindestens genauso erschrocken wie Matilda.
    Sie nahm sich zusammen und beschloss, dass sie diesen Ort so schnell wie möglich verlassen musste. Da sah sie einen etwa acht- oder neunjährigen Jungen, der abseits von der Gruppe stand und nichts außer einem abgerissenen Männerhemd trug. Sie winkte ihn zu sich.
    »Was willst du?«, fragte er misstrauisch.
    Matilda nahm einen Cent aus der Tasche und hielt ihm das Geldstück entgegen. »Zeig mir den Weg zur Pearl Street, dann gebe ich dir den Cent.«
    Er musterte sie von oben bis unten, als versuchte er abzuschätzen, ob sie noch mehr Geld bei sich trug und wie er sie am besten ausrauben könnte.
    »Mein Vater ist Polizist«, behauptete sie und schaute ihm direkt ins Gesicht. »Also keine krummen Dinger. Nun, möchtest du das Geld haben?«
    Er blickte sie lange an, nickte schließlich und hielt die Hand auf.
    Matilda schüttelte den Kopf. »Ich gebe es dir erst, wenn du mir den Weg gezeigt hast.«
    »Ich bring dich zum Broadway, das ist nicht weit«, meinte er und lief voraus, ohne auf Matildas Antwort zu warten. Er führte sie durch eine Gasse, die so eng war, dass sie mit den Armen beide Häuserseiten berühren konnte. Später gingen sie durch einen breiteren Weg, der auf eine Straße führte, die schließlich wieder voller geschäftiger Menschen und Kutschen war. Matilda seufzte erleichtert auf, als sie endlich eine zivilisierte Gegend erreicht hatten.
    »Das ist der Broadway?«, vergewisserte sie sich. Der Junge

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