Letzte Ausfahrt Oxford
Westgate?
Ich glaube, ich sollte mich jetzt dem nächsten Kapitelentwurf für mein Buch widmen. In meinem morgigen Brief komme ich auf Bibliotheken und Empfindsamkeitsromane zurück.
Küsschen, Kate
Santa Luisa, Dienstag.
Lieber Andrew,
was meinst du damit, dass ich Glück habe, dieses ganze Lokalkolorit in mich aufnehmen zu dürfen, während ich gleichzeitig für dich arbeite? Soweit ich mich erinnere, habe ich die Reise ganz allein bezahlt und obendrein unbezahlten Urlaub genommen, um eine für dich wichtige Spur zu verfolgen.
Ich hoffe, du bemerkst, wie widerspenstig ich gegenüber den patriarchalischen Anwandlungen geworden bin, die du meiner weiblichen Vorstellungsgabe entgegensetzt. An Amerika und seine Art, Frauen tatsächlich ernst zu nehmen, könnte ich mich durchaus gewöhnen.
Ich hatte ebenfalls das Glück, den verschwundenen Baughn-Roman zu lesen (wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob es sich wirklich um den verschwundenen Roman handelt. Es gibt nicht einen einzigen Anhaltspunkt dafür, dass er es ist).
Wirklich eine tolle Lektüre, obwohl ich mir nicht unbedingt gleich drei Bände davon gewünscht hätte. Wahrscheinlich entsprach das aber dem Anspruch der männlichen Verleger – schließlich haben die bezahlt und durften daher die Bedingungen diktieren. Aber zurück zu Dead – and Alive! Als Schriftstellerin muss ich feststellen, dass Miss Baughn ein wenig zu häufig den Zufall bemüht hat – inzwischen habe ich mir angewöhnt, es Vorsehung zu nennen –, um ihre Geschichte vorwärts zu bringen. Mit ihrer Heldin kann ich mich ehrlich gesagt auch nicht sonderlich anfreunden. Hier ist die Stelle, wo sie in die Handlung eingeführt wird:
Das erste Mal sah er sie in einem Spiegel. Da sie sich des heimlichen Beobachters nicht bewusst war, konnte er ungehindert ihr wunderbar klares, unschuldiges Gesicht mit der schmalen, adlergleichen Nase und den dunklen Augen betrachten, deren Farbe braun oder grün sein mochte; im sanften Kerzenlicht war es unmöglich zu erkennen. Mit geneigtem Haupt saß sie über einer Nadelarbeit; ihr schlanker Nacken erinnerte ihn an den Stängel einer Glockenblume, denn er schien ihm fast zu zerbrechlich, das Gewicht des Kopfes zu tragen. Doch vor allem war es ihr Haar, das ihn fesselte. Von hinten beleuchtet, umgab es in seinem schweren Netz ihr Antlitz wie eine Aureole. Wie die Wellen eines unendlichen Ozeans wogte es wallend um ihr Haupt. Es war von satter, rötlich brauner Farbe, fein wie ungesponnene Seide, beweglich wie die See, üppig und schier endlos. Kaum konnte er sich zurückhalten, durch den Spiegel zu treten und sich ihr zu erklären, während er ihre dichten Flechten mit den Händen berührte.
Die arme Marianna (vielleicht wurde ihre Aktivität durch diese unmögliche Haarpracht beeinträchtigt?) hat in der Geschichte nichts anderes zu tun, als treu und brav auf die Rückkehr ihres Geliebten zu warten.
Wahrscheinlich fragst du dich, warum ich bei der Verfolgung eurer fehlenden Bücher so weit abschweife. Aber ehrlich gesagt frage ich mich, ob es sich wirklich um eure Bücher handelt, und ob sie nicht einen netteren Aufenthaltsort gefunden haben als die Kellergewölbe der Oxforder Bibliotheken.
Küsschen, Kate
Santa Luisa, Freitag.
Lieber Andrew,
wenn du mich das nächste Mal anrufst, solltest du dich vorher über die Zeitdifferenz zwischen Santa Luisa und Oxford informieren. Dein Anruf kam zu einer Stunde, die nicht zu meinen besten gehört. Genau genommen bist du selbst schuld, wenn du auf deine Fragen ziemlich unzusammenhängende Antworten bekommen hast.
Was meinst du übrigens damit, dass dir die Veränderung in meinem Schreibstil nach der Lektüre der Veil- Romane nicht gefällt? Ich habe nur diesen einen gelesen, Andrew, oder sagen wir lieber: überflogen, denn es ist durchaus möglich, die wesentlichen Bestandteile der Story zu erfassen, wenn man gerade mal eine von drei Seiten im Schnellverfahren liest.
Du hast dich ziemlich barsch nach dem Fortschritt meiner Nachforschungen erkundigt. Ich finde das nicht fair, zumal ich gerade erst wieder mit der hübschen Miss Corinna Marques gesprochen und sie überredet habe, mir die Korrespondenz mit dem Eisernen Schuh zu zeigen. Ich muss gestehen, für mich sieht das alles sehr echt aus: dickes Chamois-Briefpapier, wie es sich gehört, solider Briefkopf in Schwarz und genau der Briefstil, den man bei einer älteren, von den Fabiern beeinflussten Dame aus gutem Haus erwartet. Du
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