Letzte Beichte
sich ihr schon jetzt zu stellen.
Aber dann traf sie Jeremy, und alles änderte sich. Er war eine wunderbare Mischung aus Abenteuer und Sicherheit. Seinetwegen fühlte sie sich imstande, sich allem und jedem zu stellen.
Er passte auf sie auf, machte ihr Geschenke und nahm sie überall mit hin. »Ich hol dich ab«, sagte er, »nach der Abendschicht im Kosmetikstudio«. Und wie immer war er pünktlich da, saß in seinem geparkten Alfa, hörte seine Musik und lächelte breit, wenn sie in ihrer kurzen weißen Dienstkleidung auf ihn zukam.
»Ich koche dir ein Abendessen«, sagte er, und das Essen schmeckte immer köstlich und war ansprechend serviert.
Jeremy war nicht nur fürsorglich, er war auch aufregend. Er fuhr gern schnell über Landstraßen und ging barfuß über Wiesen. Und er begeisterte sich für ihre ungewöhnlichen Einfälle. Er war klug: las Gedichte und den Observer und diskutierte beim Abendessen gern aktuelle Themen. Er war geschickt: konnte gut basteln und hatte ihr zu ihrem einwöchigen Jubiläum sogar ein schönes selbstgemachtes Schmuckkästchen aus Kastanienholz geschenkt. Außerdem war er sexuell wagemutig: Er wusste über Purr Parties Bescheid, bei denen alleinstehende Frauen sich mit Paaren in Privatwohnungen trafen. In den zwei Monaten vor ihrer Hochzeit waren sie zweimal hingegangen und hatten sich an ihre vorher vereinbarten Regeln gehalten: nie einer ohne den anderen, und die Dritte wählten sie immer gemeinsam aus.
Kurz und gut, auch Amanda hatte sich verliebt. Welcher jungen Frau wäre es anders ergangen? Ein reicher Immobilienentwickler, groß und blond, gutaussehend und einem rim job nicht abgeneigt. Sie fragte sich, wie sie es geschafft hatte, ihn an Land zu ziehen. Sie konnte es kaum erwarten, ihn ihrer Familie und ihren Freunden vorzustellen. Die würden nicht glauben, was sie da fertiggebracht hatte. Eine Herumtreiberin wie sie – mit einem wie ihm!
»Willst du mich heiraten?« fragte Jeremy keine sieben Wochen nach der Nacht mit dem Lion – Riegel.
Und damit hatte sich der Fall.
Kurz danach schlossen sie auf einem Standesamt in Camden den Bund fürs Leben. Und in jener Nacht sprang Amanda im Savoy nackt auf ihr Kingsize-Bett und sagte: »Du kommst mit mir nach Glasgow!«
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6
Mein Nachmittag war perfekt durchgeplant. Erstens: den Eltern des Sexualtäters einen Besuch abstatten. Zweitens: an der Fallbesprechung zur Freilassung besagten Sexualtäters teilnehmen. Drittens: Jeremy Bagshaw interviewen.
Die Eltern von Mr. James Marney lebten in einer Hochhauswohnung am Südrand der Stadt. Die vier anderen Hochhäuser waren ausnahmslos mit Brettern vernagelt und abrissbereit. Nummer 99, die bislang dem Schlachtfeld der Verjüngung getrotzt hatte, stand verwundet in der Mitte. Die Marneys lebten im dreizehnten Stock, sodass ich zwei Möglichkeiten hatte: mir meinen Weg vorbei an der Scheiße und den Spritzen im Treppenhaus zu bahnen oder das Risiko einer Fahrt im Aufzug einzugehen. Ich wählte die zweite Option, starrte die Knöpfe an, die nicht aufleuchten wollten, und betete, dass die Tür sich nicht unterwegs öffnete, um jemanden hereinzulassen, der mich anglotzen, ausrauben und mir den Schädel einschlagen würde.
Ich stieg wohlbehalten im dreizehnten Stock aus und ging den schäbigen Gang entlang, bis ich Nummer 13/7 gefunden hatte. Mrs. Marney brauchte eine Weile, um an die Tür zu kommen, und als sie da war, öffnete sie die Tür nicht sehr weit. Sie war eine saubere, gelassen wirkende Frau jenseits der sechzig. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, schloss sie die Tür bis auf einen winzigen Spalt und rief ihrem Mann zu: »Frank, die Sozialarbeiterin ist da! Frank! Die Sozialarbeiterin!«
Durch den Türspalt prüfte sie mit großer Sorgfalt meinen Dienstausweis und fragte mehrfach nach dem Grund meines Besuches. Einen Augenblick später kam ihr nicht so gelassenwirkender Mann Frank an die Tür (wütend, würde ich sagen, sogar bedrohlich) und ließ mich ein.
Die Wohnung war nach all dem Dreck im Aufzug und auf dem Treppenabsatz fast ein Schock: ordentlich und tipp-topp sauber. An der Wand hingen Drucke mit Jagdszenen, auf der Couch lagen Häkeldeckchen, und ein lachhaft überdimensionierter Fernseher samt DVD – Spieler und riesiger Filmsammlung stand in der Ecke. Ich hatte während meiner Zeit im Kinderschutz massenhaft Hausbesuche gemacht und wusste, wie das Spiel lief – Überraschungsbesuche bringen am meisten, nimm keine klebrigen Becher mit Tee oder Kaffee
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